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"Wir haben keine Heimat mehr..."

Felix Mendelssohn Bartholdy:
Der schönste Zwischenfall der
deutschen Musik ?

Leben und Werk im Zwielichte des Antisemitismus -
eine ConcertCollage

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"Wir haben keine Heimat mehr..."
Felix Mendelssohn Bartholdy oder eine Geschíchte kulturellen Antisemitismus
im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts

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Das Mendelssohn-Verbrechen

Deutschland gedenkt zu recht stetig an den Antisemitismus, die Judenverfolgung und den Holocaust. Dabei bleibt eine markante Causa des Antisemitismus aber stets unberücksichtigt: die geplante und durchgeführte Vernichtung des Musikerbes von Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer. Keine dezidierten Gedenkfeiern finden statt, um an das wahrhaftig verlorene Erbe der beiden jüdischstämmigen Komponisten zu erinnern. Keine Reden werden gehalten, um das Verlorne nachhaltig wiederzugewinnen. Das wenige, das dazu geschrieben wird, bleibt unreflektiert.

Wie konnte es nun zu diesem Verbrechen im Einzelnen kommen?

Anfangs des neunzehnten Jahrhunderts genossen die in Preussen lebenden jüdischen Familien durch das Hardenbergsche Reformgesetz die beginnende bürgerliche Gleichstellung. Ungeachtet fortwährender publizistischer Anschläge gegen diese Gleichstellung, begannen jüdische Familien wie die zu Mendelssohn umfassend am bildungsbürgerlichen Gemeinschaftsleben teilzunehmen, sich bildungsbürgerlich zu emanzipieren.

Eine Frucht dieses Erblühens von jüdisch-deutscher Bürgerbildung war das Leben und Wirken eines schon von frühester Kindheit an als genialisch hervortretenden Musikers namens Felix Mendelssohn Bartholdy. Dieser wirkte nicht nur als hervorragender genialer Komponist, sondern auch gerade durch seine Leipziger Zeit als stilbildender Musikorganisator und generationsprägender Musikpädagoge des allgemeinen deutschen Musiklebens.

Diese hervorragende extraordinäre Stellung Mendelssohns verblieb nicht ohne Neider und publizistische Brandwerfer. Bereits zu Lebzeiten sah sich der Komponist offenen oder verdeckten Anfeindungen antisemitischer Prägung ausgesetzt, wurde er als „Judenjunge“ und sein Wirken am Gewandhaus zu Leipzig als „Mosaisch“ verunglimpft. Diese Angriffe nahmen, auch initiiert durch einen wachsenden, umsichgreifenden Burschenschafts-Antisemitismus in der Revolutionszeit von 1848/49, nach dem Tode des Komponisten noch an Schärfe hinzu.

Im Frühjahr des Jahres 1850 erschienen zum Auftakt der „Causa Mendelssohn“ in mehreren Publikationen zeitgleich musikalische Rezensionen, welche dass Werk Mendelssohns und Meyerbeers erstmals mit unverhüllten antisemitischen Invektivismen herabsetzten. Die Publizisten Dr. Eduard Krüger von der "Neuen Berliner Musikzeitung" (im Januar 1850), Theodor Uhlig in der „Neuen Zeitung für Musik“ in Leipzig“ (ab Februar 1850) und Hans von Bülow in der „Berliner Abendpost“ (gleichsam im Februar 1850) holten zeitgleich zum ersten Schlag aus, welcher das Erbe und Schaffen Mendelssohns und Meyerbeers ins Wanken bringen sollte.

Den nächsten Schlag gegen Mendelssohn führte im September des Jahres 1850 ein junger Komponist aus der Schweizer Verbannung heraus aus, der unter einem Pseudonym namens „Karl Freigedank“ in der „Neuen Zeitung für Musik“ in Leipzig eine kulturgeschichtliche Betrachtung veröffentlichte, welche das scheinbar massiv vorhandene „Judenthum in der Musik“ anprangerte.

Diese zersetzende Schrift spricht den Juden pauschal jegliches Gespür für die deutsche Musik und die deutsche Kultur ab, da die Juden als „Volksfremde“ das „deutsche Wesen“ nicht erfahren und erspüren könnten.

Betreffs der Person Mendelssohn Bartholdys heisst es in dem Artikel im Detail:

Alles, was sich bei der Erforschung unserer Antipathie gegen jüdisches Wesen der Betrachtung darbot, (...) alle Unfähigkeit desselben, außerhalb unsres Bodens stehend, dennoch auf diesem Boden mit uns verkehren (...) zu wollen, steigern sich zu einem völlig tragischen Konflikt in der Natur, dem Leben und Kunstwirken des frühe verschiedenen Felix Mendelssohn-Bartholdy.
Dieser hat uns gezeigt, daß ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste mannigfachste Bildung, das gesteigertste (...) Ehrgefühl besitzen kann, ohne es (...) je ermöglichen zu können, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz und Seele ergreifende Wirkung auf uns hervorzubringen, welche wir (...) der Kunst (...) fähig wissen, weil wir diese Wirkung zahllos oft empfunden haben, sobald ein Heros unserer Kunst sozusagen nur den Mund auftat”.

„Freigedank“ führte die judenfeindliche Debatte dabei von einem allgemein gepflegten ethisch-kulturellen Antisemitismus über zu einem Protorassimus, der die Juden erstmals rassenbiologisch einschätzte. Der Publizist Johann Gottfried Lobe streicht das unter folgendem Aspekt heraus: „Daß die christliche Taufe dem Juden nichts hilft, zeigt Freigedank ja dadurch, daß er Mendelssohn stets als einen Juden behandelt, der doch als Christ geboren, getauft, erzogen und begraben worden ist.“

Somit legte „Freigedank“ eine folgenschwere Systematik negativer Schlagworte vor. Diese schlugen sich vor allem in Begriffen wie perfektionistischer Glätte, Kälte seelenloser Formenhaftigkeit der vermeintlich in Kopie von Stil und Kompositions-mustern nationaler Vorbilder entstandenen Werke, in Vorwürfen mangelnder emotionaler Tiefe aber auch jenem übermäßig trivialer Sentimentalität Mendelssohnscher Musik nieder.

Was beabsichtigten die Initiatoren einer lancierten öffentlichen Semitismus-Debatte im Musikbereich?

Es war ihnen um eine Verschiebung der realen Machtverhältnisse im zeitgenössischen Musikbetrieb zu tun. Musikalische Avantgardisten suchten quasi auf gewaltsamem Wege, mit publizistischen Mitteln, Einfluss innerhalb der musikalischen Hemisphäre zu erlangen. Was die avantgardistisch-musikalische Wortmeldung allein nicht bewirkte, sollte schleichende Erschütterung des Fundamentes bewirken, auf welchem das Ansehen der Erfolgsmusiker Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Meyerbeer beruhte.

Der nächste, der entscheidende Schlag gegen Felix Mendelssohn Bartholdy erfolgte im Jahre 1869.

Dort gab sich der Komponist Richard Wagner öffentlich als Verfasser des in einer zweiten, überarbeiteten Fassung publizierten "Judenthums in der Musik" zu erkennen. Die folgenschwere Zweitpublikation stand ganz am Beginn einer aggressiven Antisemitismus-Welle, welche sich in den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts über Deutschland ergießen sollte; war Wagners eigener Einschätzung zufolge, möglicherweise gar deren Auslöser. Wagner war nun nicht mehr der ziellose Emigrant, sondern war, vom Bayernkönig Ludwig II. gefördert in München und Bayreuth zu einem Operngiganten gereift, der europäisch rezipiert, mächtig, theoretisch einflussreich wurde. Neben der der Schöpfung der Opernwerke legte Wagner antisemitische Schriften vor, welche eine Heilslehre einer Befreiung Deutschlands von den Juden durch deren Eliminierung, also eine „Erlösung durch Vernichtung“ und die Realisierung eines von den Juden befreiten Christentums, die Verkündung eines „arischen Christus“ propagierte.

Die Saat, trefflichst gepflegt und gefördert auch durch das Wirken des Bayreuther Rassefanatikers Houston Stewart Chamberlain und die chauvinistisch-antisemitischen Schmähungen der Bayreuther Blätter des Wagner-Adepten Hans von Wolzogen, sollte in ungeahnter, ungeheurer Monumentalität Früchte tragen und somit alles vernichten, was vom Mendelssohnschen Erbe noch bis dato übrig blieb. Adolf Hitler und sein Clan mediokrer Vasallen bewährten sich als Wagners Vollstrecker und führten das betörte, willfährige Volk bis zur Vernichtung.

Wagner forderte einstmals in den, in den Bayreuther Blättern veröffentlichten Regenerationsschriften, in Schriften wie „Heldentum und Christentum“ oder „Erkenne dich selbst“ von 1881/82, der Lehre vom reinen, vom Semitismus vollständig gereinigten deutschen Blute und der Ankunft des „arischen Christus“, welche von der Musik der Oper Parsifal als perfidem, sinnenbetörenden Soundtrack sekundiert wurde, den Vollzug einer „grossen Lösung“ des „Judenproblems“. Diese sei allein dem deutschen Volke als möglich zur Vollendung zuerkannt; die Juden sollten brennen, wie Wagner es, den Tagebuchaufzeichnungen Cosima Wagners zufolge, forderte. Die Adepten im Nationalsozialismus hatten Wagner verstanden, die Initiierung des Vollzugs der Grossform von Wagners Willen überstieg an Grausamkeit und Leides alles den Menschen bis dahin Vorstellbare.

Das Werk Mendelssohns wurde daher vollständig von den Spielplänen eliminiert, Wagner hatte gesiegt und Mendelssohn vollständig zum Verstummen gebracht; das Mendelssohnverbrechen hatte sich somit vollzogen.

Die Jahrzehnte, welche Hitlers Reich folgten, waren von einem Klima konservativer Restauration geprägt. Während jener die Beklagung und Aufarbeitung des Mendelssohnverbrechens sich nur als hinderlich für das Wohlstandsfortkommen des Wirtschaftswundervolkes erwiesen hätte.

Die ehemaligen Musikdemagogen des “III. Reiches"; in der Adenauerzeit demo-kratisch zwangsgewendet, ließen sich, gemildert, unterschwellig negativ, weiterhin in der gewohnten einschlägigen Weise – getreu der wagnerschen Sprachregelung von Mendelssohnscher Glätte, Kälte und leeren Formenhaftigkeit – über Mendelssohns wehrlose Musik aus.

Die Schäden, die das Mendelssohnverbrechen, dem Ansehen des Musikers und der Rezeption seiner Werke auf dem Konzertpodium zugefügt hatte, sind nahezu irreversibel. Der Musiker, der in der in der Würdigung seiner Genialität bis ins Mark geschädigt wurde, hat nicht mehr seine vollständige Grösse zurückerlangt. Mendelssohn verbleibt dem deutschen Konzertleben als ein Meister; treffender gesagt: ein Kleinmeister der zweiten Reihe, dessen Musik auf dem Konzertpodium im Schatten der Heroen Beethoven, Brahms und Bruckner steht.

Es wäre notwendig, dass sich Stimmen erheben, welche sich massiv und nachhaltig zum Anwalt der Mendelssohnschen Sache machen und zur Aufklärung des Mendelssohnverbrechens beitragen würden. Doch Deutschland bleibt stumm, unfähig und unwillig, das eigene schlechte Tun, das eigene Versagen zu reflektieren, sich dem begangenen Verbrechen auszusetzen, den grossen musikalischen Sohn in seiner ganzen Genialität zu rehabilitieren. Das trägt massiv zum endgültigen Verlust wertvollsten kulturellen Erbes bei.

Wer aber nun meint, dass die Beklagung des Mendelssohnverbrechens; jene Kultur- und Musikvernichtung im Angesicht der massiv erfolgten Ermordung von leibhaftigen Menschen keine allzugrosse Rolle spielen sollte, dem sei ins Stammbuch eingeschrieben: Zuerst brennen die Bücher und verstummen die Noten, dann die Menschen und am Ende „schreien die Steine“.