Paul Leni´s "Dornröschen" | [DOWNLOAD ESSAY im .pdf-Format] |
Paul Leni (1885-1929) - kleiner, grosser, heimlicher Herrscher | |
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Der 50-minütige
Märchenfilm "Dornröschen" wurde im Jahre 1917 von dem damals
bereits namhaften Ausstatter und Filmregisseur Paul Leni nach einem Drehbuch Rudolf
Presbers realisiert. Paul Davidson produzierte den Film für die Projektion
AG "Union" (Pagu); gedreht wurde in deren Ateliers in Berlin-Tempelhof
.
Es war das bislang aufwendigste Projekt dieses Studios und bezeugt die
Risikobereitschaft des Produzenten, in Kriegszeiten einen Grossteil des Gesamtkapitals
der Gesellschaft von 2,2 Millionen Reichsmark an die Realisierung eines Kinder-
und Familienfilms zu wagen.
Für "ein mit allen Mitteln der Kunst
und Technik des 20. Jahrhunderts geschaffenes Kolossal-Filmwerk, das sich den
grössten Schöpfungen der Welt-Kinematographie würdig an die Seite
stellt" warb die Firma denn auch in Superlativen.
Im Vergleich zu den
rudimentär ausgeführten Interieurs anderer deutscher Produktionen früher
Stummfilmjahre, welche oftmals auf eindimensional-horizontale Abgrenzung von Einstellungen
beschränkt waren, präsentiert sich "Dornröschen" mit
Ambitionen akkuratester Rekonstruktion spätgotischer Sujets im Entwurf von
Dekor und Kostüm und der Tiefendimension grandios konzipierter Schauplätze
sicher einzigartig.
Zahlreiche zeitgenössische
Filme deutscher Produktion, darunter Klassiker wie "Der Student von Prag"
(Paul Wegener) 1913, "Insel der Seligen" (Max Reinhardt) 1913 und "Engelein"
(Urban Gad) 1914, erwecken indes den Eindruck, als ob sie, aus künstlerischen
oder finanziellen Erwägungen heraus, noch ausserhalb der Ateliers in relevanten
historischen oder zeitgenössischen Motiven realisiert worden wären.
Dies hat sich heute, nach Niedergang des von "Dornröschen" anschaulich
demonstrierten und bald zum vorherrschenden Produktions- und Stilprinzip prosperierenden
Atelier-Films in den sechziger Jahren, wieder regulär durchgesetzt.
Der
"Dornröschen"-Film der Firma Pagu steht auch zu Beginn einer Ära
monumentaler, vermittels immensen Aufwandes von Mensch und Materie auf authentische
Rekonstruktion historischen Geschehens bedachter, Kostümfilme deutscher Produktion,
die das Kino der Weimarer Republik bis Mitte der zwanziger Jahre beherrschen sollte.
Im darauffolgenden Jahr begründete wiederum die Projektions AG "Union"
mit der Leinwandadaption der "Carmen"-Novelle Prosper Merrimee`s durch
den Regisseur Ernst Lubitsch einen Trend gigantesker Lubitsch-Austattungsdramen.
Letztendlich aber blieb es dem Universum Film Aktiengesellschaft (UFA)-Konzern
vorbehalten, sich ab 1920 das Genre des historischen Grossfilms bevorzugt zu eigen
zu machen. Dieses zählt plakative Titel wie "Lucrezia Borgia" (Richard
Oswald), "Madame Dubarry", "Anna Boleyn", "Das Weib des
Pharao" (Ernst Lubitsch), und "Friedrichs Ex" (A. von Czerépy,
W. Prager); aber auch konzeptionellere Werke wie "Der Golem, wie er in die
Welt kam" (P. Wegener, C. Boese) und Fritz Langs "Der müde Tod",
"Die Nibelungen" zu den herausragenden Beispielen.
Die UFA - im
Jahre 1917 auf Anregung Generalfeldmarschalls Erich von Ludendorff vom Aufsichtsratsvorsitzenden
der Deutschen Bank, Dr. Emil Georg von Stauß als Konglomeratsprojekt deutscher
Filmproduktion gegründet - brachte demzufolge noch im gleichen Jahre das
Konkurrenzunternehmen Pagu unter ihren Einfluss. Im Jahre 1918 wurde die Gesellschaft,
zusammen mit dem Nachbaratelier des Filmpioniers Oskar Messter, vollständig
von der UFA übernommen.
Die Verantwortlichen des neuen Konzerns orientierten
sich in der Definition zukünftiger Produktionsstandards nunmehr an eindrucksvollen
Produktionen anderer Nationen; vorzüglich des italienischen Monstrefilms
wie "Cabiria" und "Quo Vadis"; möglicherweise auch an
D. W. Griffith "Birth of a Nation" und "Intolerance".
Die Produzenten jener Zeit bewiesen offensichtlich gutes Gespür für
die Publikumsbedürfnisse illusionsloser Kriegs- und Nachkriegszeit. Es schien
prädestiniert wie selten für Illusion historischen Glanzes und vergangener
Grösse eigener und mythologisch ferner Nation; pathetisch imaginierter weltgeschichtlicher
Dramatik.
Auch wenn dem Unternehmen Davidsons
auf Dauer keine Zukunft beschieden war: die besonderen Leistungen der "Dornröschen"-
Produktion, welche einen wichtigen Schritt in Richtung höherer Produktionsqualität
deutscher Filme darstellten, wurden in der Werbekampagne selbstbewusst hervorgehoben.
"Dornröschen"
steht auch am Beginn der wechselhaft, letztendlich unbefriedigend verlaufenden
Geschichte des kommerziellen Ausstattungsfilms deutscher Produktion, deren Ausklang
wiederum mit dem anachronistischen, obskuren Projekt "Götz von Berlichingen",
das Wolfgang Liebeneiner und Harald Reinl Ende der siebziger Jahre mit Raimund
Harmsdorf in Szene setzten, definiert werden kann.
Aber das Bemühen
Lenis um stilistische und ästhetische Insichgeschlossenheit, welches die
filmische Umsetzung des bekannten Märchens der Gebrüder Grimm auszeichnet,
entspricht weniger markanten Genrefilmen deutscher Produktion, Konformisten einer
Goebbels-UFA, bzw. die der jüdischen und demokratischen Exilanten schmerzlich
entbehrende Nachkriegsproduktion vorlegten.
Im Gegensatz zum routiniert-perfektionistisch
produzierten angloamerikanischen Trivial-Historienfilm vergleichbarer Grössenordnung,
präsentieren sich Filme wie "Jud Süss", "Das unsterbliche
Herz" (Harlan), "Ludwig der II.", "Schinderhannes" (Käutner),
"Die Nibelungen" (Reinl), "Kampf um Rom" (Siodmak), "Der
Tiger von Eschnapur/ Das indische Grabmal"(Lang) unausgewogen in der Verschmelzung
separater visueller Komponenten, stilistisch hölzern; in der Ausführung
oftmals unprofessionell erscheinend.
Der Film verweist zielstrebig in andere
Richtungen: den Ästhetizismus perfektionistisch konstruierter Überhöhung
der Realität des Glamour-Kinos in Hollywoods "Golden Age"; einer
von Mitte der 30iger Jahre bis zur Einführung des Fernsehens Ende um 1950
herum andauernde Ära finanzieller und ästhetischer Autonomie, welche
die Hollywoodstudios zu höchster Produktivität anregte. Im luxuriösen
Design der Filme des dominanten MGM-Studios reüssierte das Atelierkino schliesslich
zur Markenqualität zeitlos-artifizieller Eleganz und stilistischer Homogenität.
Die Direktive bedingungsloser Ästhetisierung von Mensch und Materie; zu obsessiv
betriebener visueller Transformation jedweder Realität in Imaginationen der
Makellosigkeit und standardisierter Schönheit als Quintessenz cineastischer
Fähigkeiten und Firmenphilosophie, erging unmittelbar von MGM-Chef Louis
B. Mayer. Er verlangte den Filmen seines Studios eine "Welt ohne Toiletten,
ohne Staub, ohne Falten, ohne Schatten" (Joseph L. Mankiewicz) ab. "Mayer
war geradezu besessen, die Welt nicht so zu zeigen, wie sie in Wirklichkeit war.
(...) Ich glaube nicht, daß im gesamten MGM-Fundus auch nur ein einziges
Klosett zu finden war. Badezimmer bestanden nur aus Wanne und Waschbecken. Es
war ein Märchenland und (...) die Leute (waren) auch bereit, ein Märchenland
abzukaufen" (Mankiewicz).
Die Bildwelten früher
Paul Leni-Filme assoziieren über jene "Dornröschen´s"
hinaus, nachhaltig Impressionen; Charakteristika der ästhetischen Konzeption
klassischen Genre der 20ziger bis 40ziger Jahre. Obwohl das Wirken Leni´s
im Schatten bedeutender Regisseure des deutschen Stummfilms wie Lang, Lubitsch
oder Murnau nicht immer adäquat wahrgenommen wird, darf der nachhaltige Einfluss
des produktiven Designers, Raumgestalters und Regisseurs innerhalb des Berliner
Kulturbetriebs und der ästhetischen Entwicklung des kommerziellen Films,
keinesfalls unterschätzt werden.
Nimmt der heutige Zuschauer allerdings
das "Kolossal-Filmwerk, das sich den Schöpfungen der Weltkinematographie
würdig zur Seite stellt" in ersten Augenschein, wird er leichtes Schmunzeln
angesichts naiver Märchenpark-Atmosphäre mancher Szene kaum unterdrücken
können.
Es wäre somit denkbar, dasselbe als filmhistorische Kuriosität,
gleichsam als zauberhaftes "Programm der leichten Muse" neben gewichtigen
Klassikern Murnau´s und Lang´s präsentieren. Auch das gewänne
ihm sicher zahlreiche neue Freunde.
Dadurch aber blieben überreich vorhandene
Aufschlüsse hinsichtlich von bedeutenderen Filmen nachhaltiger ausgeprägten
ästhetischen Ansätze Lenis größten Teils ungenutzt. Daher
bietet sich der vordergründig belanglos anmutende Reigen naiver Märchenszenerien
als Aufforderung dar, einen opulent bestückten filmgeschichtlichen Fundus
lukrativ zu erkunden. Spuren, repräsentative Objekte und Musterbeispiele
zukünftig prosperierender Manufaktur zu suchen und in Relation späterer,
weitreichenderer Entwicklungen im Bereich suggestiven Glamourkinos zu setzen.
Doch ob nun als charmante Unterhaltung genossen oder zu anregender Spurensuche
genutzt; Paul Lenis "Dornröschen" ist offen für beides.
Leni´sche Spezifika
Der Bildende Künstler Leni wirkte als
Graphiker, Maler und Bühnenbildner Berliner Theater und Kabaretts vorwiegend
impressionistisch; verhalten abstrahierend; ansatzweise expressionistisch.
Er arbeitete somit eher der Avantgarde, als anachronistisch- spätwilhelminischem
Naturalismus zu, welcher die historische Überwindung des Fin de Siècle
durch Untergang der Kaiserreiche im November 1918 bis in die 40ziger Jahre hinein
in der Kunst überdauerte.
Der Filmarbeit allerdings legte er ein, erstem
Anschein nach, konservativen ästhetischen Vorstellungen folgendes Prinzip
zugrunde. Da Leni als Innenarchitekt, Raumgestalter diverser Filmpaläste
und Designer renommierter Bälle und Künstlerfeste Berlins oftmals vor
der Aufgabe gestanden hatte, Personen und Räume in Harmonie wechselseitiger
Inspiration zu bringen, vertrat er die These handlungsneutraler, autonomer Wirkung
des auf der Leinwand imaginierten Raumes auf die dramatischen Figuren und den
Betrachter eines Films. Somit definierte er das Filmdekor als, über den rudimentär
entwickelten Gestaltungsmöglichkeiten der Kamera, des Schnitts und der Szenenmontage
stehendes, zentrales, aussagefähigstes Element des neuen Mediums. Es galt
ihm vorrangig, die fiktiven Charaktere in, präziser dramaturgischer Analyse
gemäss konzipierte, ikonographisch vielschichtig besetzte, kunstgeschichtlich
exakt reproduzierten Dekorationen einzufügen, welche die Intentionen, die
psychologische Quintessenz der Szene (n) verschlüsselt in sich bargen.
Leni verweigerte sich singulärer Orientierung an den im deutschen Stummfilm vorherrschenden stilistischen Strömungen - dem "Caligari"-Expressionismus, dem Natur-Impressionismus von Murnaus "Nosferatu", plakativem Naturalismus Lubitsch´er Historienepen oder dokumentarischen Realismus sozialkritisch bemühter Filme etwa. Des spezifisch-suggestiven Potentials diverser Stilrichtungen bezüglich unterschiedlicher Genres gewärtig, wählte Leni jeweils die adäquateste Möglichkeit psychologischer Interpretation der Vorlage.
Artifiziell
rekonstruierter, ornamental ausgestalteter, verfeinerter nachempfundener Naturalismus
erweist sich als Fundament Leni´schen Filmschaffens. 2 Charakteristika des
Künstlers verbanden sich somit zum Stil dekorativen Ästhetizismus des
Kinos: die Ambition umfassend vorgenommener kunsthandwerklicher Betätigung
und Recherche mit der Fähigkeit sublimer Komprimierung heterogen vorhandener
visueller Komponenten.
Im Verlaufe weiteren Filmschaffens zunehmend phantastischer
Verfremdung ausgesetzt, vervollkommnte sich das Prinzip elaboriert-naturalistischen
Dekors zum eigenständigen Gestaltungsmittel suggestiven Impressionismus.
In den amerikanischen Filmen verdichtete sich das Potential Leni´schen Ästhetizismus
zu einem ikonographisch formvollendet konzipierten System homogen zusammenwirkender
Elemente, welches dem Leinwandgeschehen ein Gefühl fortwährender Bedrohung
implizierte.
Filmtheoretisch war somit ein wesentlicher Schritt vollzogen:
die Erkenntnis notwendiger Komprimierung substantieller visueller Ausdrucksmittel;
die Überwindung eindimensional verstandener Addition der Elemente Skript,
Akteur und Dekor vor laufender Kamera hin zur Komplexität dramaturgisch und
ästhetisch planmässig vorgenommenen Aufbaus einer Leinwandimpression,
welche das Genrekino in den Stand spezifischer visueller Aussagekraft versetzen
sollte.
Fallweise griff Leni auf die Möglichkeiten klassischen Expressionismus zurück, mit dem er auf der Bühne seines Varièté-Unternehmens "Die Gondel" anlässlich des Programms "Die Droschkenkutscher" bereits experimentiert hatte, wenn diese - wie im Film "Hintertreppe" - vermittels agressiver Vermittlung eines zeitgenössisch-gesellschaftskritischen Themas: soziale Missstände und menschliche Vereinsamung in Form einer melodramatischen Geschichte angeprangert, auf der Hand lag.
Symptomatisch
für Leni´s stilistische Virtuosität; dessen Sensibilität
gegenüber komplexer Beschaffenheit dramatischer Vorlagen; die Befähigung
zur Reflektion verborgener Tiefenaspekte des Handlungsgefüges vermittels
stilisierender visueller Verschlüsselung ist der Film "Das Wachsfigurenkabinett"
aus dem Jahre 1924, der Leni zu damaligem Weltruhm verhalf und als Klassiker seines
Oeuvres und dem deutschen Stummfilm gilt.
"Das Wachsfigurenkabinett"
erzählt, nebst der in einer Jahrmarktsbude angesiedelten Rahmenhandlung,
3 handlungskonform, in verschieden vorherrschenden Stilrichtungen des deutschen
Stummfilms interpretierte, separate Episoden. Dekorativer phantastischer Naturalismus
prägt die Welt Harun Al-Raschid´s; die Expressivität des Wechselspiels
von Licht- und Schatten die Zeit "Iwan´s des Schrecklichen"; und
der artifizielle Caligari-Expressionismus jene "Jack´s the Ripper".
Die von einschlägiger Filmliteratur gemeinhin überlieferte Einschätzung
"dekorativen Expressionismus" als Quintessenz des Filmschaffens Paul
Leni´s entspricht den originären Gestaltungsprinzipien des Künstlers
somit kaum. Expressionismus spielte im Filmschaffen Leni´s keine wesentliche
Rolle. Das vom Filmwissenschaftler Hans-Michael Bock für sein Buch: "Paul
Leni - Graphik, Theater, Film" recherchierte Bildmaterial aus Filmen, für
die Paul Leni als Designer oder Regisseur verantwortlich zeichnete, zeigt nachhaltig,
das sich Elemente gemässigten Expressionismus in Leni´s Filmen zunehmend
zugunsten des Prinzips von Ornamental-Dekorativem und subtiler Stimmungsmalerei
weichen.
Der "Dornröschen"-Film von 1917 (es lag bereits eine von der Produktionsgesellschaft Licht hergestellte deutsche Verfilmung des Themas aus den Jahre 1913 vor) präsentiert sich in einer Mischung verspielten poetischen Naturalismus, Anklängen spätromantischen Symbolismus und Formen cinéastischer Kreativität phantastischer Negation zeitlicher und räumlicher Gesetzmässigkeiten. Symptomatische, kontinuierlich reproduzierte Dekors des Atelierkinos werden von Paul Leni´s "Dornröschen" vielleicht zum ersten Male auf der Leinwand exemplarisch vorgestellt.
The gothic halls of Radio Keith Orpheum
So ist beispielsweise der Weg artifizieller Reproduktion gotischer Repräsentationsarchitektur, welche "Dornröschen" als kunstgeschichtliches Zitat in hochgradig stimmungsvoller Stilisierung vorweist; welche als kompakt, kahl und trist charakterisiert; perspektivisch diffus; düster, Ängste auszulösen vermag, zum atmosphärischen, "gothik style", den Hollywood bis zum Ende des Schwarz-Weiss-Kinos in den vierziger Jahren pflegte, denkbar kurz.
Während
das Starkino amerikanischer Prägung romanische und gotische Architektur vorzüglich
als exquisit bereitgestellte Folie für die patriotischen und amourösen
Affären der Kinohelden - wie in Allan Dwans "Robin Hood"-Verfilmung
von 1922, einer auf Publikumsliebling Douglas Fairbanks sr. zugeschnittenen Grossproduktion
geschehen - reproduzierte, setzt der im Jahre 1931 von Tod Browning, Kameramann
Karl Freund und Ausstatter Charles D. Hall geschaffene "Dracula"- Film
des, im Genre des "gothik horror" führenden, Universal-Studios
das artifizieller gotischer Dekoration innewohnende Potential suggestiver Atmosphäre
in den Rang fundamentalen Stilmittels, welches die unheimlichen Stimmungen des
Vampirfilms wesentlich transportiert.
Die Perfektion zeitlos-verwunschener
Imagination bedrohlicher "old fashioned athmosphere" als Synonym höchster
Kunstfertigkeit klassischer Schwarz-Weiss-Kinemathographie im Zusammenspiel von
Studiodekor, Ausleuchtung und Tricktechnik (die "gothic"-Dekors bestanden
grössten Teils aus Glasmalereien, die durch Spiegeltrickverfahren ins Filmbild
einprojiziert, rudimentär gebaute Dekorationen vervollständigten) erhielt
die Gotik deutschen Stummfilms in den Produktionen des
vergleichsweise kurzlebigen,
aber experimentierfähigen Studios Radio Keith Orpheum (RKO Radio), welches
einige für das Hollywoodkino wegweisende Genrefilme hervorbrachte.
Verantwortlich
für den transparenten, pittoresken "gothic"-Stil der RKO, der zum
Markenzeichen aller Filme betont melodramatischen oder unheimlichen Charakters
derselben avancierte, zeichnete der Szenenbildner Van Nest Polglase. Er entwickelte
das Design desselben als Art Director diverser Produktionen und sorgte in späteren
Jahren als Leiter des Ausstattungswesens der RKO für die Fortschreibung des
"gothik"-Stils durch fähige Mitarbeiter.
Die Filme Mary of Scotland
1936 (John Ford), The hunchback of Notre Dame 1939 (William Dieterle), Citizen
Kane 1941 (Orson Welles), Suspicion 1941 (Alfred Hitchkock), The Bells of St.
Mary´s 1945 (Leo McCary) und The Bishops Wife 1948 begegnen uns unmittelbar;
die Filme The Informer 1935 (John Ford), All that Money can buy 1941 (Dieterle),
The Body Snatcher 1945 (Robert Wise) und The Spiral Staircase 1948 (Robert Siodmak)
im weiteren Sinne als Botschafter desselben.
Allerdings stand die Ausweitung
einer spezifisch-sujetgebundenen Manier auch im Zusammenhang mit dem, von der
RKO sehr effektiv betriebenen "Set-Recycling"; der weiteren Auswertung
von Dekorationen, die zu massiv gebaut und teuer waren, um sie nach Ende der originären
Dreharbeiten, zu vernichten. Dekorationen des Films "The hunchback of Notre
Dame" tauchen beispielsweise in so unterschiedlichen Filmen wie Citizen Kane,
The Body Snatcher, Joan of Arc (1948 Victor Fleming) und noch dem im Jahre 1952
gedrehten farbenfrohen Musketier-Spektakel " At Sword´s Point"
(Lewis Allen) auf.
Das Suggestivpotential diffuser
Eigenatmosphäre, die von den "Gothic"-Dekorationen im Sinne der
Austattungstheorien Paul Leni´s singulär, ohne Einwirkung anderer gestaltender
Elemente ausgeht, konnte allerdings nur im Schwarz-Weiss-Kino hervorgerufen werden.
Technicolor-Filme, die romanische oder gotische Dekorationen vorweisen, lassen
den morbiden, spätromantischen Zauber einer zu letzter reichster Blüte
hervorgetriebenen Altersfirnis keinesfalls aufkommen. Die historischen Formen
- wie in Victor Flemings Joan of Arc anschaulich - wirken plump, stumpf, massig
und verweisen auf die Vorspiegelung von Massivarchitektur aus Leichtmaterialien
durch die Hand des Kascheurs. Das optisch und photochemisch träge Technicolor-Negativmaterial
verlangte bei den Aufnahmen flächige intensive Ausleuchtung der Szenerien.
In
den opulent produzierten Prestige-Melodramen, den im feudalen Design des Fin de
siécle auf spiegelglattem Parkett angesiedelten kapriziösen Gesellschaftskomödien
der Metro Goldwyn Mayer (MGM) Studios und des unabhängig arbeitenden Produzenten
David O`Selznik wiederum ist der "gothic"-Style, reduziert auf dekorative
Repräsentation perfektionistisch-elegant kreierter, verschwenderisch mit
Zierrat versehener Zuckerwerk-Gotik, präsent.
Die standardisiert ästhetizistisch-kunsthandwerkliche
Qualität historisier-
enden Establishment-Dekors der MGM-Filme - sie kamen
Greta Garbos Queen Christine im Schweden des 17. Jahrhundert genauso zugute, wie
deren Auftreten als Sowjet-Kommissarin Ninotchka im systemwidrigen Prachtambiente
exklusiver Pariser Hotels der dreissiger Jahre - hat mit Leni´s Vorstellung
vom zeitlos Dekorativen zwar dezente Homogenisierung diverser Ingredienzien sowie
die Obsession ambitionierten ornamentalen Beiwerks gemeinsam. Sie entbehren der
intuitiven, interpretatorisch vielschichtig besetzten originären Kostbarkeit
Lenischer Entwürfe als auch des eigentümlichen Charmes des unbehaueneren,
suggestiven "Gothic-Style" der RKO und Universal Filme.
Candies for Young Catherine
Dekorationsskizzen des königlichen Bankettsaals; im Hintergrund von schmalen hohen durchbrochenen Spitzbogenfenstern eingefasst, welcher die mystische Transzendenz einer gotischen Apsis assoziiert; eines rustikal-feudalistisch ausgestatteten Schlafgemachs und der gedrungen-massiven Küchengewölbe zu "Dornröschen", verweisen auf Impressionen pittoresker, phantastischer Backgrounds der Spielzeugwelten Disney´scher "Silly Symphonies", aus "Pinocchio" und "Snow White`s, die einem exklusiv der Vorstellung von Disney-Artists entlehnten Märcheneuroopa entstammen, dessen kunstgeschichtliches und architektonisches Zentrum in Tirol zu vermuten ist.
Ein Blick auf den zeitgenössischen Realfilm Hollywoods lenkt die Aufmerksamkeit unweigerlich auf den extraordinär-schwülstigen Pittoresk-Stil bedrängender, phantasmagorisch ornamentierter, Kinderängste heraufbeschwörender Räume, welche das Ausstatter-Triumvirat Hans Dreier, Peter Ballbusch und Richard Kollorsz für das archaisch- unheimliche Russland der jungen (von Marlene
Dietrich verkörperten)
Grossen Katharina in Joseph von Sternberg`s "The Scarlet Empress" kreierten.
Dieses Dekor steht auch in einer Umgebung erklärter Künstlichkeit der
Hollywood-Illusionsmaschinerie einzigartig dar und findet nur im monströsen
Ausstattungsschwulst einiger Schwarz-Weiss-Produktionen Cecil B. De Milles und
in der Gestaltung der Zwergenwelt von "Snow White" seine Entsprechung.
Die gedrungen gehaltenen Kreml-Dekors aus "Tue scarlett Empress" führen
augenscheinlich das Konzept der "Iwan der Schreckliche"-Episode aus
dem "Wachsfiguren-Kabinetts" fort, in welcher Leni die, von archaischen
Mechanismen allumfassenden Pessimismus, latenter physischer Bedrohung, dem sanktionierten
Wahnsinn staatlicher Potentaten niedergedrückten Figuren in einen Rahmen
stellt, der das illustre Sujet des alten Russland zwar kunsthistorisch exakt zitiert,
es aber gleichzeitig in irreelle, bedrückende Dimensionen hinein überzeichnet.
Die Beklemmungen der auf der Leinwand agierenden Personen, vermitteln sich angesichts
der Reminiszenz an eigene, diffusen Umgebungen geschuldete, Gefühle von Bedrohung
wiederum unmittelbar auf den Zuschauer, machen ihn emotional zu deren Verbündeten
und lassen ihn innerlich gleichermassen gegen die archaischen Zustände der
Unterdrückung rebellieren.
Der Filmbildner Hans
Dreier, als Chef des Art-Department des produktiven Paramount-Studios für
das Design von "The scarlett empress" federführend verantwortlich,
war als versierter Ufa-Ausstatter im deutschen Stummfilm tätig, bis er im
Jahre 1924 nach Hollywood engagiert wurde. Dreier, der in München Maschinenbau
und Architektur studiert hatte, arbeitete im Jahre 1921 mit Paul Leni zusammen
am Dekor von Richard Oswalds "Lady Hamilton" und nahm dabei die bauliche
Umsetzung von Lenis Entwürfen vor. Dabei gewann er natürlich auch Einblick
in die Grundsätze des Leni´schen Ausstattungsprinzips, deren Hang zu
ornamentaler Vielfältigkeit er vor allem in späteren Arbeiten für
Paramount in eine selbstzweckhaft opulente Schwelgerei phantastischen Dekors weiterführte.
Im Jahre 1948 erwies Dreier wiederum der Welt Walt Disney´s Referenz mit
dem explizit kitschigen Dekor zu "The Emperor Waltz", das Bing Crosby
in einem Tirol herumirren lässt, welches auch "Snow White" beherbergen
muss.
Stilisierung, Überzeichnung, Expressivität, "Expressionismus"; atmosphärische Überhöhung autarker theatralischer Wahrheit, die Suggestion wechselseitiger Ängste durch pauschale Betonung der Schattenseiten von im Studio reproduzierter historischer Realität sind die effizienten, markanten Ausdrucksmittel Sergej Eisenstein für seine Interpretation der Geschichte "Iwan des Schrecklichen" in seinem zweiteiligen, nicht unangefochten gebliebenen Meisterwerk "Iwan Grosny".
Da Leni´s "Das Wachsfigurenkabinett" im Jahre 1924 in der Filmbranche und Kreisen des Kulturestablishments weltweit Aufsehen erregte und das damalige Filmschaffen sich kosmopolitisch orientierte, hatte Eisenstein möglicherweise Kenntnis von Leni´s Werk. Andererseits bewiese die unverbildete Kreation verwandter Phantasmagorien eines "Iwan des Schrecklichen" durch Eisenstein den trefflichen Instinkt eines innovativen Filmkünstlers bezüglich adäquater Interpretation eines sehr charakteristischen Sujets und die Kongruenz eines intuitiven Filmästheten und Kinopioniers zum anderen.
Von
der gute Stube ehrbarer Leute und dem grossen Hoftheater
Die
wertbeständig und bis in Details von Möblierung und Accessoires hinein
gewichtig ausgeführte gotische Bürgerstube, die in der Komprimierung
auf den Focus projizierten rechteckigen Lichtbildes überdeutlich korrekt
rekonstruiert erscheinend, bietet im "Dornröschen-Film einige Male den
Schauplatz für in der Welt der Untertanen angesiedelte Szenerien. Sie wird
in kinematographisch versiert, tiefenscharf-dreidimensional eingefangener Beengung,
als Ort und Symbol grossbürgerlicher Machtzufriedenheit, reichsstädtischer
Unabhängigkeit, überkommener alt-väterlicher Wertvorstellungen
oder gediegener behaglicher kleinbürgerlicher Welten später noch oftmals
in den
Schwarz-Weiss-Filmen zahlreicher Regisseure bürgerliche Intimwelten
fremden Blicken auftun; so in Filmen von Murnau (Faust- eine deutsche Volkssage
1927), Trenker (Der Kaiser von Kalifornien 1936), Dieterle (The hunchback of Notre
Dame 1939), Pabst (Paracelsus 1940) und Harlan (Das unsterbliche Herz 1941).
Weitere
Szenerien zeugen von überladenem Historisierenden Bühnen-Naturalismus
des Kostüms und Dekors, der an den deutschen Bühnen ungeachtet sensationeller
avantgardistischer Modellinszenierungen bedeutender Theaterleute Berlin´s
bis weit in die vierziger Jahre hinein vorherrschte.
Da Leni im Jahre 1917
bereits 3 Filme als Regisseur und Ausstatter in Personalunion realisiert hatte
und als Designer für die bereits zu Meisterfilmern avancierten Regisseure
Joe May und Ernst Lubitsch tätig war, ist anzunehmen, daß er 1.) der
Adaption eines Themas wie des Volksmärchens von der schlafenden Prinzessin
und dem schönen Prinzen für die spezifischen Erzähltechniken fortlaufenden
bewegten Bildes hin, grundlegende Analyse des Sujets hatte vorangehen; und 2.)
dasselbe auch der später vehement vertretenen These des Dekors als psychologisch
verschlüsselten Ornaments und Hauptträgers filmischer Beredsamkeit unterwarf.
Die Kreation signifikanter Dekors steht im Mittelpunkt visueller Dramatisierung
des "Dornröschen"-Märchens; des Weiteren wurden die handelnden
Personen mit deren vorbereiteten Spielabläufen integriert und das Ergebnis
als Tableau, als "lebendes Bild" gleichsam einer Theateraufführung
jener Zeit abgefilmt.
Die Verfilmung populärer
Märchen- und Sagenstoff hatte sich bereits ab 1915 mit Filmen des Regisseurs
und Schauspielers Paul Wegener wie "Rübezahls Hochzeit", "Der
Rattenfänger von Hameln", "Hans Trutz im Schlaraffenland"
als eigenständiges Genre des deutschen Kinos herausgebildet.
Wegener
machte sich bei der Kinoadaption der Sagengeschichten jedoch die spezifischen
Gestaltungsmöglichkeiten des neuen Mediums zunutze: die Möglichkeit
analytischer Auflösung der Szene in einzelne aussagekräftige Einstellungen,
die aus unterschiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen und vermittels Filmschnitt
und Bildmontage zu flüssigen, dynamischen Abläufen gegliedert werden.
Des Weiteren erkannte Wegener den seinerzeit als Jahrmarktsbuden-Gauklereien belächelten
tricktechnischen Möglichkeiten der Kinematographie die Fähigkeit zu
verblüffender Illusion und glaubwürdiger Darstellung der Fantasy-Geschichten
zu.
Den opulenten Grossaufriss historischer Szenerie vermittels repräsentativen
Prachtdekors verwarf der "filmisch" gedachte Märchenfilm Wegeners
als vermeintliches Relikt von Bühnenpraktiken, welche von Darstellungsmöglichkeiten
neuen Bildmediums überwunden schienen, zugunsten "Verwandlungsszenen,
Überblendungen, Simultanblenden.... (der) Kamera, die sich fast ausschliesslich
an Originaldrehorten bewegt, durch die Wälder streift, über Täler
schwenkt, aus der Vogelperspektive auf Lichtungen blickt (Christiane Mückenberger/
Deutsche Spielfilme bis 1933). Wegeners Ansatz erweist sich zu jener Zeit eindeutig
als der kühnere, modernere filmischer Adaptierung.
Das zeitgenössische Feuilleton verwies demzufolge fortwährend auf das grundlegende Problem, das der neuen Kunstform bald erwuchs: Die potentielle Stagnation der Kinematographie im Stadium einer als unseriös angesehenen, spektakulären, technisch-optischen Spielerei; Sekundantin wahrer Künste wie Theater und Literatur, authentische oder gestellte Realität abzulichten, um sie der Öffentlichkeit dann "aus zweiter Hand" als Trivialfassung derselben zu offerieren.
Welche andererseits die Möglichkeit gegeben war, sich vermittels Strukturierung und bewusster Manipulation optischen Materials zum kreativen Freiraum autarker Realität aufgrund spezifischer dramaturgischer Gesetzmässigkeiten fortzubilden, welche den Kinemathographen der Literatur, dem Theater und den Bildenden Künsten gleichstellte.
Während die konservative Kritik jener Jahre der Verbeugung des Kinos vor den als wertbeständiger erachteten Gesetzmässigkeiten des grossbürgerlichen Repräsentationstheaters, welche sich im "Dornröschen"- Film Paul Leni´s vordergründig vollzog, dezent akklamierte: "Das alte, liebgewordene Märchen ist in eine romantische Hofatmosphäre übertragen, mit Königen, Prinzen, Ammen, Feen und alten Hexen....Wie lebendig gewordene Bilder alter Meister schritten König und Königin in prunkvollem Zuge vorüber, gefolgt von Rittern und Edeldamen mit spitzen Zuckerhüten und steifen Schleppkleidern....Das Märchen selbst ist mit grossem Geschick für die Zwecke des Films bearbeitet: sie (man) wahrte den poetischen Unterton und wich geschickt allen Modernisierungen aus."- zitiert aus "Lichtbild Bühne, Nr. 51, vom 22.12.1917, erhoben sich in späteren Jahren verstärkt abwertende Stimmen, welche der Idee Leni ´s von Dekor und Suggestion ein "allzu unterwürfiges Kleben" an eindimensional dahingebreiteten verlaufenden Vorlage und Phantasielosigkeit im Sinne filmischen Denkens konstatierten und dem dynamischeren heterogeneren Ansatz Wegeners den Vorzug gaben.
Holger Jörg
hat als Autor unserer Zeit die Bedenken bezüglich Leni´s Interpretationsansatz
in seinem Aufsatz: Die sagen- und märchenhafte Leinwand: Erzählstoffe
und Motive der Volksprosa im "Klassischen deutschen Stummfilm" 1910-30
zusammengefasst: "Obwohl vom Sujet her durchaus an die von Paul Wegener begründete
und gepflegte Tradition anknüpfend,...folgt Leni diesbezüglich eigenen,
fast konservativen Bestrebungen: Während sich Wegener vor allem darum bemüht,
seine Themen erzählerisch neu zu gestalten und dabei gleichzeitig die (trick)technischen
Möglichkeiten des Films voll auszuschöpfen, verzichtet Leni zugunsten
von Dekor und Kostüm auf solche Innovationen und adaptiert das klassische
Volksmärchen der Brüder Grimm in so buchstaben - bzw. typengetreuer
Form, daß man beinahe von einem bühnenreifen "Abklatsch"
sprechen könnte..." Jörg nimmt dabei auf ein in einer Fussnote
angeführtes Resümee von O. Kalbus aus dem Jahre 1935 Bezug: "Leni
...arbeitete weniger mit photographischen Tricks, sondern schwelgte in lebendig
gewordener Kunstgeschichte und Kostümkunde."
Der Umstand, daß
der Theater- und Filmmann Leni im Jahre 1917 auf dekorativen Impressionismus konzentrierte,
gibt uns wiederum Gelegenheit zum Studium überkommener Bühnenpraktiken
des Fin de siécle; wie es auch wenige erhalten gebliebene Fragmente der
damals kurzzeitig prosperierenden "Stummfilm-Opernverfilmungen" ermöglichen.
Diese mögen uns heute zwar als Kuriosum erscheinen, zeichneten aber die nahezu
authentisch im Atelier reproduzierten traditionellen szenischen Standard-Arrangements
der Werke auf, welche gelegentlich in um die Jahrhundertwende veröffentlichten
Opernlibretti in Skizzenform dargelegt wurden. (Die Musik wurde in den Kinos live
mit den örtlich gegebenen Möglichkeiten; von Solo-Klavierbegleitung
über Salonorchester mit Duettgesang bishin zu Vollreproduktionen mit Chor-
und Orchesterbegleitung in grossen Filmpalästen, sekundierend zum Opernfilm
dargeboten.)
In der in Bühnenbildentwürfen dokumentierten
originären Theaterarbeit der Jahre 1910-19, weicht Leni erheblich von den
in Filmen und Theaterphotographie dokumentierten Bühnenpraktiken der Jahrhundertwende
ab und kreierte für Klassiker-Aufführungen sichtlich abstrakt konzipierte,
perspektivisch-geometrisch angelegte Dekorationen, die in schmucklos-strenger
Sachlichkeit und der Reduktion auf wesentliche szenischen Elemente an Entwürfe
Adolphe Appias und Dekorationen von Jessner-Aufführungen gemahnen. Die Entwürfe
der Filmdekorationen wiederum verweisen weniger auf den Theater-Naturalismus der
Jahrhundertwende, als auf den gepflegten, barock oder klassizistisch akzentuierten
Realismus der langjährig die Reinhardt-Bühnen dominierenden Ausstattungsästhetik
Ernst Sterns, der als seriöser Antipode der Theatermoderne einzustufen ist.
Parallel zu repräsentativer Moderne grossbürgerlichen Theaters und dem
Ästhetizismus der Leinwand nahm Leni an den Bestrebungen der Avantgarde Anteil
und irritierte die Öffentlichkeit vermittels provokanter expressionistischer
Gesamtkunstwerke, welche er auf der Bühne des von ihm gegründeten Varièté-Unternehmens
"Die Gondel" vorstellte.
"Leni´s expressionistischen Architekturen etwa in dem "Droschenkutscher" passen sich mit ungewöhnlichem Geschick dem Publikum an, ohne ihr reizvoll dekoratives Flächenspiel aufzugeben. Aus drei Menschen in winterlich grotesk-kubischer Vermummung, einem Architektur-Hintergrund mit mannigfach zerbrochenen Flächen und Lichtern, Geräuschen aus Gassenhauern und Strassenlärm baut sich ein Bühnenbild auf, das die Bewegungsreize des Expressionismus geschickt verwertet. Die Reduktion des Bühnenbildes auf die einfachsten, klarsten Ausdrucksformen, raffiniert nur in ihren Überschneidungen, Brechungen und Harmonien, ist beispielhaft für die Möglichkeiten des Expressionismus als angewandter Kunst." schreibt Rudolf Kurz in seinem vielbeachteten zeitgenössischen Buch über den Expressionismus.
Vom "Austernleben der Deutschen" und der Deutschen Oper
Leni
und Drehbuchautor Rudolph Presber (welcher auch die ebenmässig gesetzte,
beschauliche, ansprechende Lyrik der Interimstafeln verfasste ) umgaben die "Dornröschen"-
Geschichte, Wegener und dessen Märchenverfilmungen gleich, mit einer kleinen,
allem Anschein nach belanglosen, Rahmenhandlung: "Die Grossmutter" liest
in der bodenständig-anheimelnden, warmen Stube, in einem archaischen Lehnstuhl
thronend, einigen eng an sie geschmiegten Kindern die Geschichte "aus alter
Zeit" vor, während draussen der Schnee fällt. Sie bietet somit
als ein den, auch innerhalb ihrer Erzählung beispielhaft aufgeworfen und
besänftigten, Stürmen des Lebens widerstehendes, konstituierendes Element,
einer Welturmutter gleich, den kleinen, schutzsuchend um sie drängenden und
atemlos lauschenden Menschenkindern Wärme und Zuwendung.
Den grandiosen,
suggestiven Edelkitsch-Märchenfilmen späterer Disney-Produktion gleich,
welche "die Grossmutter" durch schwere, Beständigkeit und Wertkonservativismus
demonstrierende Lederprachtbände ersetzen, die sich zu Beginn des Films öffnen
und den Zuschauer in die Märchenwelt einlassen, um sich nach dem Happy End
bewahrend zu schliessen, reflektieren Prolog und Epilog die zu allen Zeiten empfundene
Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und Liebe.
So
ward sie Braut, so hat sie sich vermählt,
Grossmutter hat's den Kindern
selbst erzählt,
Grossmutter weiss Geschichten ohne Zahl,
Sie fangen
alle an: Es war einmal...
Die Autoren fügen
sich damit einer signifikanten Tradition, die ausschliesslich dem deutschen Stummfilm
vorbehalten zu bleiben schien: die belehrende, erbauliche tiefgründende Darlegung
des "Wahren, Schönen, Guten", bedachtsam vollführt durch Prolog
und Epilog, welche, im Erzählton pathetisch, dem restaurativ-humanistischen
Welttheater deutscher Prägung verpflichtet, eine vermittels dramatischen
Kerngeschehens erteilte moralische Lektion nachdrücklich festzuschreiben
trachteten.
Die Gepflogenheit sekundierender, oder assoziativer Umschreibungen des Hauptgeschehens; der Zergliederung des Handlungsverlaufs durch Ruhepunkte resümierender Interludien, ist bezeichnenderweise zahlreichen der mit quasiliterarischem Anspruch konzipierten deutschen Stummfilmklassiker zu eigen; Filmen wie "Das Cabinett des Dr. Caligari" von Robert Wiene; 1920, "Der müde Tod" von Fritz Lang, 1921, "Nosferatu" von Friedrich-Wilhelm Murnau, 1922, "Die Nibelungen 1. Teil - Siegfrieds Tod" von Lang, 1924, "Geheimnisse einer Seele" von Georg Wilhelm Papst, 1926, "Faust: Eine deutsche Volkssage" von Murnau, 1926; Sie verweist, über spezifisch filmische Belange hinausgehend, auf tiefgründiger beschaffene Obsessionen synonymen, Befindlichkeiten der deutschen Seele reflektierenden Erzählens auf.
Der deutsche Schriftsteller Siegfried
Kracauer, (der sich vor allem mit einer soziologischen Analyse des frühen
deutschen Films mit dem Titel "Von Caligari bis Hitler" als bahnbrechender
Filmtheoretiker hervortat) sieht in der befremdlichen Bedächtigkeit, die
der deutsche Stummfilm in ein unstetes, technisch-kreatives Medium einbrachte,
einen deutlichen Verweis auf die Gepflogenheit des Deutschen, sich in der Rolle
des Erzählers oder Zuhörers, also der Offenbarung sorgsam gehüteter
intimer Ressourcen des Denkens, Fühlens und Bestrebens, keinesfalls über
die Maßen gehen zu lassen. Kracauer zufolge war er vielmehr von vornherein
darauf bedacht, die Erzählsituation - quasi wie ein
die empfindsame Seele
und nonkonforme Sehnsüchte bergendes Festungsareal - genau auszuzirkulieren
und verfiel folgerichtig auf ein filmisches Synonym des "manischen Hangs
des Deutschen, vor der feindlichen Welt zu flüchten und sich gleichzeitig
in eine Muschelschale zurückzuziehen." Kracauer verweist dabei in direkter
Linie zurück zu Hölderlin und der im "Hyperion" aufgestellten
These "Vom Austernleben der Deutschen".
Lotte
H. Eisner, die rennomierte Pionierin der Filmwissenschaft und sachkundige Wegbegleiterin
des deutschen Stummfilms neigt in ihrem Standardwerk: "Die dämonische
Leinwand" zum Widerspruch gegen Kracauers These und fragt sich: "Ist
es vielleicht nicht noch mehr der typisch deutsche Hang zur langatmigen, epischen
Erzählung, der zu dieser Rahmenform geführt hat? Der Deutsche liebt
das Komplizierte, das zeigt schon die verzwickte Einschachtelung von Nebensätzen
in einen Hauptsatz."
Beides scheint zuzutreffen:
Der Ruhebereich einer schützenden, beidseitig sichernden Rahmenhandlung,
gewährt nicht allein dem Erzähler die Aura verbriefter Seriosität,
auch dem Zuhörer ist eine Fliehburg eröffnet, in welcher er sich im
Sinne Hölderlins, geschützt vor einer verständnislosen Welt der
Sekundärtugenden dem "Wahren, Schönen, Guten" hingeben kann.
Andererseits bot das "Komplizierte" , das der "Deutsche" -
dieses bis in unsere Zeit hinein betont spröde, emotional sperrige, Leidenschaften
vorzüglich funktional auf Konstruktion und Durchdringung komplexer wissenschaftlicher
oder sozialer Strukturen aufwendende, von "Dichtern und Denkern" angeleitete
Landeskind - Lotte H. Eisner zufolge liebt, dämmende, regulierende Barrieren
und Kanäle, die beargwöhntes Sichverlieren in ersehnte, aber als Synonym
für Unseriosität zielstrebig unterdrückte emotional Erschütterung
bei der Rezeption dramatischer Darbietungen verhinderten.
Die "Deutsche
Oper", von bedeutendsten Komponisten des deutschsprachigen Raums Ende des
18. Jahrhunderts unablässig propagiert, aber erst im Jahre 1824 von Carl
Maria von Weber mit der ungemein erfolgreichen Berliner Uraufführung seines
Singspiels "Der Freischütz" - dem "Hohelied des deutschen
Waldes" - realisiert, entspricht dieser humanistisch-nationalen Kunstauffassung
formal und dramaturgisch vollständig.
Robert Schumann, der als "deutschester"
der Komponisten im Pantheon deutscher Klassiker und Romantiker der Musik die besten
Seiten fragwürdig propagierten Verständnisses des "Deutschseins"
verinnerlichte: zwanghaft zu Werke gehende Nachdenklichkeit, die, in Kompensation
nihilistisch gepflogener Schwermut, dem maroden Weltgefüge als Streiter idealischer
Integrität gegenübertritt - forderte einer Deutschen Oper eigener Hand
- um die er ein Leben lang vergebens rang zuförderst ab: "...sie müsse
vom unanzweifelbaren Wert von Dichtung und Musik her imstande sein, "an "der
moralischen Besserung einer unheilen Welt" mitzuwirken. Er übernahm
damit den im Jahre 1843 von dem Dramatiker Friedrich Hebbel an das deutsche Theater
gestellten Anspruch: "Übrigens ist ein jedes Drama nur soweit lebendig,
als es der Zeit, in der es entspringt, d. h. ihren höchsten und wahrsten
Interessen (zu denen für Hebbel, ebenso wie für Richard Wagner der Nationalgedanke
zählte; Gerd Nauhaus) zum Ausdruck dient."
Richard Wagner war es beschieden, die Deutsche Oper vom balsamischen Pastellfarbentonfall erhabender Singspiele zum Extremismus musikalisch expressivst, gewichtig dahingebreiteter Musikdramen vielstündiger Spieldauer, archaisch-verbindlich autorisierter Tetralogien und Bühnenweihfestspiele zu führen. Folgerichtig beherbergt ein exklusiv errichtetes "Richard Wagner Nationaltheater", in Vollendung des Gedankens an Kulturinstitutionen erdenklich ausschliesslich als Volksbildungsanstalten, als "hohes Fest für alle kunstliebenden Angehörigen des deutschen Volkes" bis zum heutigen Tage die Summe deutschen Opernideals in spezifischer Definition eines Richard Wagner.
Konzeptionell entspricht
die Deutsche Oper im Anspruch, das "Wahre, Schöne, Gute" nicht
allein zur Kenntnis zu geben, sondern formell zu zelebrieren, dem Gestus "deutschen
Erzählens".
Im Gegensatz zu Werken anderer Opernnationen, oftmals
mit wenigen prägnanten Takten eröffnet oder von kurzen Orchestervorspielen
in die Stimmung des Bühnengeschehens geführt, gehen Bühnenwerken
Beethovens, Schuberts, Webers Schumanns, Wagners und anderer episch konzipierte
Vorspiele voran, welche in der Komplexität musikalischer Struktur, der Dichte
symphonischen Gewebes, im Range eigenständiger symphonischer Dichtungen stehen.
Der Erfolg separater Aufführungen derselben auf dem Konzertpodium, lässt
auf hohen musikalischen Anspruch an einen Prolog schliessen, dessen Funktion die
Vorbereitung auf ethische Befindlichkeiten einer hinter geschlossenem Vorhange
verborgenen Welt der Parabel ist.
"Papa"
Laemmle´s "Best Buy"
Im Jahre 1924
engagierte Universal-Chef Carl Laemmle, beeindruckt von einer Vorstellung des
"Wachsfigurenkabinett", Paul Leni nach Hollywood. Bis zum Tode im Jahre
1927 realisierte er dort 4 Filme, im Zuge derer er die Ästhetik psychologischen
Impressionismus zu Suggestionen hin zu steigern verstand, welche der amerikanischen
Film bis nicht kannte.
Die pragmatische Weltoffenheit amerikanischen Filmbusiness,
verbunden mit der Risikofreude amerikanischer Producer angesichts potentieller
Gewinnträchtigkeit eines Projekts - der in Schwaben geborene Filmpionier
Carl Laemmle und das von ihm mit einer gewissen Bauernschläue geführte
Universal-Studio zeigen es exemplarisch - sowie die technisch-handwerkliche Perfektion
in der Produktion von Hollywood-"Movies" gleichbleibend hoher Qualität,
dürfte hochgradig inspirierend auf den Gestalter Paul Leni gewirkt haben.
In einer vom wertkonservativ geprägtem Druck öffentlicher Meinung der
Weimarer Republik befreiten Atmosphäre, welche sich ausschliesslich an den
Positionen geschäftlichen Erfolgs oder Misserfolgs orientierte, löste
er sich vom Erbe statuarischen, literarisch verstandenen deutschen Meisterfilms
hin zum Freiland experimenteller Virtuosität unter Vervollkommnung eigner
bewährter Ausdruchsmittel. Bezeichnenderweise entwickelten sich entscheidende
filmästhetische Perspektiven anlässlich der Adaption von Trivial-Sujets,
die der deutsche Meisterfilm und die Elite des Berliner Feuilletons niemals akzeptiert
hätten.
Fortwährend bestrebt, das Suggestivpotential der Leinwandimpression
zu vervollkommnen, machte Leni sich in verstärktem Maße die Gestaltungsmöglichkeiten
der Kamera als originäres virtuoses Handwerkszeug kreativ gehandhabten Kinos
zunutze.
Innovativer Gebrauch von Kamera und Schnitt im Kino Paul Leni`s:
das bezieht sich weniger auf filmische Analyse und Gliederung der vorliegenden
Sujets, sondern, der These analytisch vorgehender expressiver Binnendramaturgie
der Einstellungen folgend, - symbolträchtige Kameraperspektiven und Fahrten,
welche die dem Dekor implizierten Stimmungen verstärkt reproduzieren.
Um eine Vorstellung der überwältigenden Wirkung traumatischer Bilder ästhetischer Vollkommenheit der Hollywoodfilme Lenis auf Publikum und Fachkollegen jener Zeit zu geben, sei der Vergleich zweier wesensverwandter Sensationsfilme versucht, die das Universal-Studio Mitte -Ende der 20ziger Jahre produzierte und hinsichtlich handwerklicher Perfektion und ästhetischer Wirkung nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können.
Im Jahre 1923 wagte
sich Laemmle´s Universal-Studio an eine Sensations-Verfilmung von Victor
Hugo´s bekannten Zeit- und Sittengemälde ausgehenden Mittelalters in
Romanform "Notre Dame de Paris" unter dem Titel " The hunchback
of Notre Dame", welche das Unternehmen im Rang eines führenden Hollywood-Studios
nachhaltig verfestigen sollte.
Laemmle bestand deshalb auf einem, der episch
angelegten Monumental-Vorlage des Buches entsprechenden, produktionstechnischen
Kraftakt.
Die erforderlichen Dekorationen von Strassen und Plätzen des
mittelalterlichen Paris, der von drei gewaltigen Portalen beherrschten Westfassade
der Kathedrale, des von gotischen Bauten gesäumte Domhofs wurden nicht, wie
oftmals vorgenommen, im Atelier durch Teilbauten und bemalte Prospekte simuliert,
sondern auf Freigelände des Studios real errichtet. Massenkomparserie und
simultan erforderliches Aufkommen mittelalterlicher Kostümierung liessen
das Produktionsbudget auf die für damalige Verhältnisse exorbitant hohe
Summe von 1 250 000 Dollar anwachsen.
Die Berechnung eines forcierten
Universal-Blockbuster des Geschäftjahres 1924 ging auf, der Film zog als
sensationell aufbereitetes, melodramatisches, geringfügig von Horrorelementen
durchsetztes Historienspektakel Zuschauermassen in die Kinos.
Die künstlerische
Bilanz des Films fiel hingegen nahezu katastrophal aus. Von der Bereitstellung
einer authentisch rekonstruierten Notre-Dame Fassade abgesehen, präsentieren
sich die Nachbauten mittelalterlicher Strassenzüge als stilistisch heterogen
ausfallende, unverbindlich historisierende Phantasiedekorationen, blieb das Kostümdesign
der Wiederbelebung von absurder Klischees der Mittelalterverklärung des 19.
Jahrhunderts verhaftet.
Auch die szenische Realisierung von Hugo´s melodramatischem Plot um die Zigeunerin Esmeralda, den Buckligen von Notre Dame, das Volk und die Bettler von Paris erweist sich als belanglos. Regisseur Wallace Worsley kam mit den Anforderungen der Grossproduktion (William Wyler, Regie-Star späterer Jahre, war als Hilfsregisseur von Massenszenen tätig) augenfällig nicht zurecht und hatte darüber hinaus mit Alkoholproblemen zu kämpfen; sodass Hauptdarsteller Lon Chaney für einen Grossteil der Szenen auch die Regie übernahm. (Filmhistoriker vermuten mittlerweile Intrigen Chaneys bezüglich Engagements Worsley´s als Regisseur des Projekts, da ihm - in Bewusstheit der Schwächen desselben - somit stärkerer Einfluss auf das Prestigeprojekt gewährleistet schien, als sie ein Star üblicherweise auszuüben vermochte.) Den szenischen Höhepunkten wurde, ungeachtet einiger beachtlicher darstellerischer Leistungen, dramatisch effiziente Umsetzung durchweg schuldig geblieben.
Les Caprices d´horreur
de Barkilphedro
Im Jahre 1927 wurde Paul Leni als
neuer Star-Regisseur des Studios von Universal-Producer Paul Kohner mit der Verfilmung
eines anderen Victor Hugo-Sujets betraut, der allerdings nicht den Bekanntheitsgrad
des "Notre Dame" Themas aufwies, welches vor der Prestige Produktion
des Studios bereits fünfmal verfilmt worden war.
Dessen ungeachtet erwies
sich der Hugo-Roman "Die lachende Maske" als Synonym düsterst eingestimmter
französischer Romantik - im Benehmen extremistischer Überzeichnung grausam-skurriler
Wendung individuellen Schicksals als Symbol der Conditio Humana reinem Fatalismus
Vorschub leistend - dem monumentaler veranschlagten populären "Notre
Dame" Opus ebenbürtig. In den Verstrickungen tiefenpsychologisch-verhängnisvoll
eröffneter Abgründigkeit ergiebiger, bot der Roman reichhaltig melodramatisches
Potential gleichnishaft entworfener grandioser Ballade archaischer Vergangenheit
zu Kreation eines pittoresk ausfallenden, stimmungsvollen Filmes.
Die
für das Oeuvre Hugo´s symptomatische Aussenseitersituation (Siehe "Les
Miserables", "Hernani" und "Le Roi s´amuse", auch
bekannt unter dem Titel "Rigoletto" in der Opernbearbeitung Giuseppe
Verdi´s) der Hauptfigur, auf deren fatale Geschicke sich der Film ungeachtet
zahlreicher Nebenhandlungen des Romans beschränkt, geht diesmal aus der Exposition
klassischer Verschwörungsszenerie hervor: Lord Clancharlie, Haupt einer gegen
den Despotismus König James II. verbundenen Adelsfronde, stirbt nach Zerschlagung
derselben als Staatsverräter den Foltertod in der Skulptur einer sich langsam
schliessenden "Eisernen Jungfrau"; seine Familie wird "hinein bis
ins zweite und dritte Glied" belangt. Auch sein kleiner Sohn Gwynplaine fällt
der Rache des sadistisch gezeichneten, triumphierenden Herrschers anheim. Der
in diabolischer Entsprechung charakterisierte Hofnarr Barkilphedro, - er weiss
von Comprachos zu berichten, einer Bande in der Wildnis beheimateter Geächteter,
welche Kinder stehlen oder kaufen, diesen ein auf immer entstellendes breites
Grinsen in die kleinen Gesichter einschneidet, um sie als Jahrmarktsattraktion
der "lachenden Menschen" weiterzuverhandeln, inspiriert den chiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen und vermittels Filmschnitt
und Bildmontage zu flüssigen, dynamischen Abläufen gegliedert werden.
Des Weiteren erkannte Wegener den seinerzeit als Jahrmarktsbuden-Gauklereien belächelten
tricktechnischen Möglichkeiten der Kinematographie die Fähigkeit zu
verblüffender Illusion und glaubwürdiger Darstellung der Fantasy-Geschichten
zu.
Den opulenten Grossaufriss historischer Szenerie vermittels repräsentativen
Prachtdekors verwarf der "filmisch" gedachte Märchenfilm Wegeners
als vermeintliches Relikt von Bühnenpraktiken, welche von Darstellungsmöglichkeiten
neuen Bildmediums überwunden schienen, zugunsten "Verwandlungsszenen,
Überblendungen, Simultanblenden.... (der) Kamera, die sich fast ausschliesslich
an Originaldrehorten bewegt, durch die Wälder streift, über Täler
schwenkt, aus der Vogelperspektive auf Lichtungen blickt (Christiane Mückenberger/
Deutsche Spielfilme bis 1933). Wegeners Ansatz erweist sich zu jener Zeit eindeutig
als der kühnere, modernere filmischer Adaptierung.
Das zeitgenössische Feuilleton verwies demzufolge fortwährend auf das grundlegende Problem, das der neuen Kunstform bald erwuchs: Die potentielle Stagnation der Kinematographie im Stadium einer als unseriös angesehenen, spektakulären, technisch-optischen Spielerei; Sekundantin wahrer Künste wie Theater und Literatur, authentische oder gestellte Realität abzulichten, um sie der Öffentlichkeit dann "aus zweiter Hand" als Trivialfassung derselben zu offerieren.
Welche andererseits die Möglichkeit gegeben war, sich vermittels Strukturierung und bewusster Manipulation optischen Materials zum kreativen Freiraum autarker Realität aufgrund spezifischer dramaturgischer Gesetzmässigkeiten fortzubilden, welche den Kinemathographen der Literatur, dem Theater und den Bildenden Künsten gleichstellte.
Während die konservative Kritik jener Jahre der Verbeugung des Kinos vor den als wertbeständiger erachteten Gesetzmässigkeiten des grossbürgerlichen Repräsentationstheaters, welche sich im "Dornröschen"- Film Paul Leni´s vordergründig vollzog, dezent akklamierte: "Das alte, liebgewordene Märchen ist in eine romantische Hofatmosphäre übertragen, mit Königen, Prinzen, Ammen, Feen und alten Hexen....Wie lebendig gewordene Bilder alter Meister schritten König und Königin in prunkvollem Zuge vorüber, gefolgt von Rittern und Edeldamen mit spitzen Zuckerhüten und steifen Schleppkleidern....Das Märchen selbst ist mit grossem Geschick für die Zwecke des Films bearbeitet: sie (man) wahrte den poetischen Unterton und wich geschickt allen Modernisierungen aus."- zitiert aus "Lichtbild Bühne, Nr. 51, vom 22.12.1917, erhoben sich in späteren Jahren verstärkt abwertende Stimmen, welche der Idee Leni ´s von Dekor und Suggestion ein "allzu unterwürfiges Kleben" an eindimensional dahingebreiteten verlaufenden Vorlage und Phantasielosigkeit im Sinne filmischen Denkens konstatierten und dem dynamischeren heterogeneren Ansatz Wegeners den Vorzug gaben.
Holger Jörg
hat als Autor unserer Zeit die Bedenken bezüglich Leni´s Interpretationsansatz
in seinem Aufsatz: Die sagen- und märchenhafte Leinwand: Erzählstoffe
und Motive der Volksprosa im "Klassischen deutschen Stummfilm" 1910-30
zusammengefasst: "Obwohl vom Sujet her durchaus an die von Paul Wegener begründete
und gepflegte Tradition anknüpfend,...folgt Leni diesbezüglich eigenen,
fast konservativen Bestrebungen: Während sich Wegener vor allem darum bemüht,
seine Themen erzählerisch neu zu gestalten und dabei gleichzeitig die (trick)technischen
Möglichkeiten des Films voll auszuschöpfen, verzichtet Leni zugunsten
von Dekor und Kostüm auf solche Innovationen und adaptiert das klassische
Volksmärchen der Brüder Grimm in so buchstaben - bzw. typengetreuer
Form, daß man beinahe von einem bühnenreifen "Abklatsch"
sprechen könnte..." Jörg nimmt dabei auf ein in einer Fussnote
angeführtes Resümee von O. Kalbus aus dem Jahre 1935 Bezug: "Leni
...arbeitete weniger mit photographischen Tricks, sondern schwelgte in lebendig
gewordener Kunstgeschichte und Kostümkunde."
Der Umstand, daß
der Theater- und Filmmann Leni im Jahre 1917 auf dekorativen Impressionismus konzentrierte,
gibt uns wiederum Gelegenheit zum Studium überkommener Bühnenpraktiken
des Fin de siécle; wie es auch wenige erhalten gebliebene Fragmente der
damals kurzzeitig prosperierenden "Stummfilm-Opernverfilmungen" ermöglichen.
Diese mögen uns heute zwar als Kuriosum erscheinen, zeichneten aber die nahezu
authentisch im Atelier reproduzierten traditionellen szenischen Standard-Arrangements
der Werke auf, welche gelegentlich in um die Jahrhundertwende veröffentlichten
Opernlibretti in Skizzenform dargelegt wurden. (Die Musik wurde in den Kinos live
mit den örtlich gegebenen Möglichkeiten; von Solo-Klavierbegleitung
über Salonorchester mit Duettgesang bishin zu Vollreproduktionen mit Chor-
und Orchesterbegleitung in grossen Filmpalästen, sekundierend zum Opernfilm
dargeboten.)
In der in Bühnenbildentwürfen dokumentierten
originären Theaterarbeit der Jahre 1910-19, weicht Leni erheblich von den
in Filmen und Theaterphotographie dokumentierten Bühnenpraktiken der Jahrhundertwende
ab und kreierte für Klassiker-Aufführungen sichtlich abstrakt konzipierte,
perspektivisch-geometrisch angelegte Dekorationen, die in schmucklos-strenger
Sachlichkeit und der Reduktion auf wesentliche szenischen Elemente an Entwürfe
Adolphe Appias und Dekorationen von Jessner-Aufführungen gemahnen. Die Entwürfe
der Filmdekorationen wiederum verweisen weniger auf den Theater-Naturalismus der
Jahrhundertwende, als auf den gepflegten, barock oder klassizistisch akzentuierten
Realismus der langjährig die Reinhardt-Bühnen dominierenden Ausstattungsästhetik
Ernst Sterns, der als seriöser Antipode der Theatermoderne einzustufen ist.
Parallel zu repräsentativer Moderne grossbürgerlichen Theaters und dem
Ästhetizismus der Leinwand nahm Leni an den Bestrebungen der Avantgarde Anteil
und irritierte die Öffentlichkeit vermittels provokanter expressionistischer
Gesamtkunstwerke, welche er auf der Bühne des von ihm gegründeten Varièté-Unternehmens
"Die Gondel" vorstellte.
"Leni´s expressionistischen Architekturen etwa in dem "Droschenkutscher" passen sich mit ungewöhnlichem Geschick dem Publikum an, ohne ihr reizvoll dekoratives Flächenspiel aufzugeben. Aus drei Menschen in winterlich grotesk-kubischer Vermummung, einem Architektur-Hintergrund mit mannigfach zerbrochenen Flächen und Lichtern, Geräuschen aus Gassenhauern und Strassenlärm baut sich ein Bühnenbild auf, das die Bewegungsreize des Expressionismus geschickt verwertet. Die Reduktion des Bühnenbildes auf die einfachsten, klarsten Ausdrucksformen, raffiniert nur in ihren Überschneidungen, Brechungen und Harmonien, ist beispielhaft für die Möglichkeiten des Expressionismus als angewandter Kunst." schreibt Rudolf Kurz in seinem vielbeachteten zeitgenössischen Buch über den Expressionismus.
Vom "Austernleben der Deutschen" und der Deutschen Oper
Leni
und Drehbuchautor Rudolph Presber (welcher auch die ebenmässig gesetzte,
beschauliche, ansprechende Lyrik der Interimstafeln verfasste ) umgaben die "Dornröschen"-
Geschichte, Wegener und dessen Märchenverfilmungen gleich, mit einer kleinen,
allem Anschein nach belanglosen, Rahmenhandlung: "Die Grossmutter" liest
in der bodenständig-anheimelnden, warmen Stube, in einem archaischen Lehnstuhl
thronend, einigen eng an sie geschmiegten Kindern die Geschichte "aus alter
Zeit" vor, während draussen der Schnee fällt. Sie bietet somit
als ein den, auch innerhalb ihrer Erzählung beispielhaft aufgeworfen und
besänftigten, Stürmen des Lebens widerstehendes, konstituierendes Element,
einer Welturmutter gleich, den kleinen, schutzsuchend um sie drängenden und
atemlos lauschenden Menschenkindern Wärme und Zuwendung.
Den grandiosen,
suggestiven Edelkitsch-Märchenfilmen späterer Disney-Produktion gleich,
welche "die Grossmutter" durch schwere, Beständigkeit und Wertkonservativismus
demonstrierende Lederprachtbände ersetzen, die sich zu Beginn des Films öffnen
und den Zuschauer in die Märchenwelt einlassen, um sich nach dem Happy End
bewahrend zu schliessen, reflektieren Prolog und Epilog die zu allen Zeiten empfundene
Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und Liebe.
So
ward sie Braut, so hat sie sich vermählt,
Grossmutter hat's den Kindern
selbst erzählt,
Grossmutter weiss Geschichten ohne Zahl,
Sie fangen
alle an: Es war einmal...
Die Autoren fügen
sich damit einer signifikanten Tradition, die ausschliesslich dem deutschen Stummfilm
vorbehalten zu bleiben schien: die belehrende, erbauliche tiefgründende Darlegung
des "Wahren, Schönen, Guten", bedachtsam vollführt durch Prolog
und Epilog, welche, im Erzählton pathetisch, dem restaurativ-humanistischen
Welttheater deutscher Prägung verpflichtet, eine vermittels dramatischen
Kerngeschehens erteilte moralische Lektion nachdrücklich festzuschreiben
trachteten.
Die Gepflogenheit sekundierender, oder assoziativer Umschreibungen des Hauptgeschehens; der Zergliederung des Handlungsverlaufs durch Ruhepunkte resümierender Interludien, ist bezeichnenderweise zahlreichen der mit quasiliterarischem Anspruch konzipierten deutschen Stummfilmklassiker zu eigen; Filmen wie "Das Cabinett des Dr. Caligari" von Robert Wiene; 1920, "Der müde Tod" von Fritz Lang, 1921, "Nosferatu" von Friedrich-Wilhelm Murnau, 1922, "Die Nibelungen 1. Teil - Siegfrieds Tod" von Lang, 1924, "Geheimnisse einer Seele" von Georg Wilhelm Papst, 1926, "Faust: Eine deutsche Volkssage" von Murnau, 1926; Sie verweist, über spezifisch filmische Belange hinausgehend, auf tiefgründiger beschaffene Obsessionen synonymen, Befindlichkeiten der deutschen Seele reflektierenden Erzählens auf.
Der deutsche Schriftsteller Siegfried
Kracauer, (der sich vor allem mit einer soziologischen Analyse des frühen
deutschen Films mit dem Titel "Von Caligari bis Hitler" als bahnbrechender
Filmtheoretiker hervortat) sieht in der befremdlichen Bedächtigkeit, die
der deutsche Stummfilm in ein unstetes, technisch-kreatives Medium einbrachte,
einen deutlichen Verweis auf die Gepflogenheit des Deutschen, sich in der Rolle
des Erzählers oder Zuhörers, also der Offenbarung sorgsam gehüteter
intimer Ressourcen des Denkens, Fühlens und Bestrebens, keinesfalls über
die Maßen gehen zu lassen. Kracauer zufolge war er vielmehr von vornherein
darauf bedacht, die Erzählsituation - quasi wie ein
die empfindsame Seele
und nonkonforme Sehnsüchte bergendes Festungsareal - genau auszuzirkulieren
und verfiel folgerichtig auf ein filmisches Synonym des "manischen Hangs
des Deutschen, vor der feindlichen Welt zu flüchten und sich gleichzeitig
in eine Muschelschale zurückzuziehen." Kracauer verweist dabei in direkter
Linie zurück zu Hölderlin und der im "Hyperion" aufgestellten
These "Vom Austernleben der Deutschen".
Lotte
H. Eisner, die rennomierte Pionierin der Filmwissenschaft und sachkundige Wegbegleiterin
des deutschen Stummfilms neigt in ihrem Standardwerk: "Die dämonische
Leinwand" zum Widerspruch gegen Kracauers These und fragt sich: "Ist
es vielleicht nicht noch mehr der typisch deutsche Hang zur langatmigen, epischen
Erzählung, der zu dieser Rahmenform geführt hat? Der Deutsche liebt
das Komplizierte, das zeigt schon die verzwickte Einschachtelung von Nebensätzen
in einen Hauptsatz."
Beides scheint zuzutreffen:
Der Ruhebereich einer schützenden, beidseitig sichernden Rahmenhandlung,
gewährt nicht allein dem Erzähler die Aura verbriefter Seriosität,
auch dem Zuhörer ist eine Fliehburg eröffnet, in welcher er sich im
Sinne Hölderlins, geschützt vor einer verständnislosen Welt der
Sekundärtugenden dem "Wahren, Schönen, Guten" hingeben kann.
Andererseits bot das "Komplizierte" , das der "Deutsche" -
dieses bis in unsere Zeit hinein betont spröde, emotional sperrige, Leidenschaften
vorzüglich funktional auf Konstruktion und Durchdringung komplexer wissenschaftlicher
oder sozialer Strukturen aufwendende, von "Dichtern und Denkern" angeleitete
Landeskind - Lotte H. Eisner zufolge liebt, dämmende, regulierende Barrieren
und Kanäle, die beargwöhntes Sichverlieren in ersehnte, aber als Synonym
für Unseriosität zielstrebig unterdrückte emotional Erschütterung
bei der Rezeption dramatischer Darbietungen verhinderten.
Die "Deutsche
Oper", von bedeutendsten Komponisten des deutschsprachigen Raums Ende des
18. Jahrhunderts unablässig propagiert, aber erst im Jahre 1824 von Carl
Maria von Weber mit der ungemein erfolgreichen Berliner Uraufführung seines
Singspiels "Der Freischütz" - dem "Hohelied des deutschen
Waldes" - realisiert, entspricht dieser humanistisch-nationalen Kunstauffassung
formal und dramaturgisch vollständig.
Robert Schumann, der als "deutschester"
der Komponisten im Pantheon deutscher Klassiker und Romantiker der Musik die besten
Seiten fragwürdig propagierten Verständnisses des "Deutschseins"
verinnerlichte: zwanghaft zu Werke gehende Nachdenklichkeit, die, in Kompensation
nihilistisch gepflogener Schwermut, dem maroden Weltgefüge als Streiter idealischer
Integrität gegenübertritt - forderte einer Deutschen Oper eigener Hand
- um die er ein Leben lang vergebens rang zuförderst ab: "...sie müsse
vom unanzweifelbaren Wert von Dichtung und Musik her imstande sein, "an "der
moralischen Besserung einer unheilen Welt" mitzuwirken. Er übernahm
damit den im Jahre 1843 von dem Dramatiker Friedrich Hebbel an das deutsche Theater
gestellten Anspruch: "Übrigens ist ein jedes Drama nur soweit lebendig,
als es der Zeit, in der es entspringt, d. h. ihren höchsten und wahrsten
Interessen (zu denen für Hebbel, ebenso wie für Richard Wagner der Nationalgedanke
zählte; Gerd Nauhaus) zum Ausdruck dient."
Richard Wagner war es beschieden, die Deutsche Oper vom balsamischen Pastellfarbentonfall erhabender Singspiele zum Extremismus musikalisch expressivst, gewichtig dahingebreiteter Musikdramen vielstündiger Spieldauer, archaisch-verbindlich autorisierter Tetralogien und Bühnenweihfestspiele zu führen. Folgerichtig beherbergt ein exklusiv errichtetes "Richard Wagner Nationaltheater", in Vollendung des Gedankens an Kulturinstitutionen erdenklich ausschliesslich als Volksbildungsanstalten, als "hohes Fest für alle kunstliebenden Angehörigen des deutschen Volkes" bis zum heutigen Tage die Summe deutschen Opernideals in spezifischer Definition eines Richard Wagner.
Konzeptionell entspricht
die Deutsche Oper im Anspruch, das "Wahre, Schöne, Gute" nicht
allein zur Kenntnis zu geben, sondern formell zu zelebrieren, dem Gestus "deutschen
Erzählens".
Im Gegensatz zu Werken anderer Opernnationen, oftmals
mit wenigen prägnanten Takten eröffnet oder von kurzen Orchestervorspielen
in die Stimmung des Bühnengeschehens geführt, gehen Bühnenwerken
Beethovens, Schuberts, Webers Schumanns, Wagners und anderer episch konzipierte
Vorspiele voran, welche in der Komplexität musikalischer Struktur, der Dichte
symphonischen Gewebes, im Range eigenständiger symphonischer Dichtungen stehen.
Der Erfolg separater Aufführungen derselben auf dem Konzertpodium, lässt
auf hohen musikalischen Anspruch an einen Prolog schliessen, dessen Funktion die
Vorbereitung auf ethische Befindlichkeiten einer hinter geschlossenem Vorhange
verborgenen Welt der Parabel ist.
"Papa"
Laemmle´s "Best Buy"
Im Jahre 1924
engagierte Universal-Chef Carl Laemmle, beeindruckt von einer Vorstellung des
"Wachsfigurenkabinett", Paul Leni nach Hollywood. Bis zum Tode im Jahre
1927 realisierte er dort 4 Filme, im Zuge derer er die Ästhetik psychologischen
Impressionismus zu Suggestionen hin zu steigern verstand, welche der amerikanischen
Film bis nicht kannte.
Die pragmatische Weltoffenheit amerikanischen Filmbusiness,
verbunden mit der Risikofreude amerikanischer Producer angesichts potentieller
Gewinnträchtigkeit eines Projekts - der in Schwaben geborene Filmpionier
Carl Laemmle und das von ihm mit einer gewissen Bauernschläue geführte
Universal-Studio zeigen es exemplarisch - sowie die technisch-handwerkliche Perfektion
in der Produktion von Hollywood-"Movies" gleichbleibend hoher Qualität,
dürfte hochgradig inspirierend auf den Gestalter Paul Leni gewirkt haben.
In einer vom wertkonservativ geprägtem Druck öffentlicher Meinung der
Weimarer Republik befreiten Atmosphäre, welche sich ausschliesslich an den
Positionen geschäftlichen Erfolgs oder Misserfolgs orientierte, löste
er sich vom Erbe statuarischen, literarisch verstandenen deutschen Meisterfilms
hin zum Freiland experimenteller Virtuosität unter Vervollkommnung eigner
bewährter Ausdruchsmittel. Bezeichnenderweise entwickelten sich entscheidende
filmästhetische Perspektiven anlässlich der Adaption von Trivial-Sujets,
die der deutsche Meisterfilm und die Elite des Berliner Feuilletons niemals akzeptiert
hätten.
Fortwährend bestrebt, das Suggestivpotential der Leinwandimpression
zu vervollkommnen, machte Leni sich in verstärktem Maße die Gestaltungsmöglichkeiten
der Kamera als originäres virtuoses Handwerkszeug kreativ gehandhabten Kinos
zunutze.
Innovativer Gebrauch von Kamera und Schnitt im Kino Paul Leni`s:
das bezieht sich weniger auf filmische Analyse und Gliederung der vorliegenden
Sujets, sondern, der These analytisch vorgehender expressiver Binnendramaturgie
der Einstellungen folgend, - symbolträchtige Kameraperspektiven und Fahrten,
welche die dem Dekor implizierten Stimmungen verstärkt reproduzieren.
Um eine Vorstellung der überwältigenden Wirkung traumatischer Bilder ästhetischer Vollkommenheit der Hollywoodfilme Lenis auf Publikum und Fachkollegen jener Zeit zu geben, sei der Vergleich zweier wesensverwandter Sensationsfilme versucht, die das Universal-Studio Mitte -Ende der 20ziger Jahre produzierte und hinsichtlich handwerklicher Perfektion und ästhetischer Wirkung nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können.
Im Jahre 1923 wagte
sich Laemmle´s Universal-Studio an eine Sensations-Verfilmung von Victor
Hugo´s bekannten Zeit- und Sittengemälde ausgehenden Mittelalters in
Romanform "Notre Dame de Paris" unter dem Titel " The hunchback
of Notre Dame", welche das Unternehmen im Rang eines führenden Hollywood-Studios
nachhaltig verfestigen sollte.
Laemmle bestand deshalb auf einem, der episch
angelegten Monumental-Vorlage des Buches entsprechenden, produktionstechnischen
Kraftakt.
Die erforderlichen Dekorationen von Strassen und Plätzen des
mittelalterlichen Paris, der von drei gewaltigen Portalen beherrschten Westfassade
der Kathedrale, des von gotischen Bauten gesäumte Domhofs wurden nicht, wie
oftmals vorgenommen, im Atelier durch Teilbauten und bemalte Prospekte simuliert,
sondern auf Freigelände des Studios real errichtet. Massenkomparserie und
simultan erforderliches Aufkommen mittelalterlicher Kostümierung liessen
das Produktionsbudget auf die für damalige Verhältnisse exorbitant hohe
Summe von 1 250 000 Dollar anwachsen.
Die Berechnung eines forcierten
Universal-Blockbuster des Geschäftjahres 1924 ging auf, der Film zog als
sensationell aufbereitetes, melodramatisches, geringfügig von Horrorelementen
durchsetztes Historienspektakel Zuschauermassen in die Kinos.
Die künstlerische
Bilanz des Films fiel hingegen nahezu katastrophal aus. Von der Bereitstellung
einer authentisch rekonstruierten Notre-Dame Fassade abgesehen, präsentieren
sich die Nachbauten mittelalterlicher Strassenzüge als stilistisch heterogen
ausfallende, unverbindlich historisierende Phantasiedekorationen, blieb das Kostümdesign
der Wiederbelebung von absurder Klischees der Mittelalterverklärung des 19.
Jahrhunderts verhaftet.
Auch die szenische Realisierung von Hugo´s melodramatischem Plot um die Zigeunerin Esmeralda, den Buckligen von Notre Dame, das Volk und die Bettler von Paris erweist sich als belanglos. Regisseur Wallace Worsley kam mit den Anforderungen der Grossproduktion (William Wyler, Regie-Star späterer Jahre, war als Hilfsregisseur von Massenszenen tätig) augenfällig nicht zurecht und hatte darüber hinaus mit Alkoholproblemen zu kämpfen; sodass Hauptdarsteller Lon Chaney für einen Grossteil der Szenen auch die Regie übernahm. (Filmhistoriker vermuten mittlerweile Intrigen Chaneys bezüglich Engagements Worsley´s als Regisseur des Projekts, da ihm - in Bewusstheit der Schwächen desselben - somit stärkerer Einfluss auf das Prestigeprojekt gewährleistet schien, als sie ein Star üblicherweise auszuüben vermochte.) Den szenischen Höhepunkten wurde, ungeachtet einiger beachtlicher darstellerischer Leistungen, dramatisch effiziente Umsetzung durchweg schuldig geblieben.
Les Caprices d´horreur
de Barkilphedro
Im Jahre 1927 wurde Paul Leni als
neuer Star-Regisseur des Studios von Universal-Producer Paul Kohner mit der Verfilmung
eines anderen Victor Hugo-Sujets betraut, der allerdings nicht den Bekanntheitsgrad
des "Notre Dame" Themas aufwies, welches vor der Prestige Produktion
des Studios bereits fünfmal verfilmt worden war.
Dessen ungeachtet erwies
sich der Hugo-Roman "Die lachende Maske" als Synonym düsterst eingestimmter
französischer Romantik - im Benehmen extremistischer Überzeichnung grausam-skurriler
Wendung individuellen Schicksals als Symbol der Conditio Humana reinem Fatalismus
Vorschub leistend - dem monumentaler veranschlagten populären "Notre
Dame" Opus ebenbürtig. In den Verstrickungen tiefenpsychologisch-verhängnisvoll
eröffneter Abgründigkeit ergiebiger, bot der Roman reichhaltig melodramatisches
Potential gleichnishaft entworfener grandioser Ballade archaischer Vergangenheit
zu Kreation eines pittoresk ausfallenden, stimmungsvollen Filmes.
Die
für das Oeuvre Hugo´s symptomatische Aussenseitersituation (Siehe "Les
Miserables", "Hernani" und "Le Roi s´amuse", auch
bekannt unter dem Titel "Rigoletto" in der Opernbearbeitung Giuseppe
Verdi´s) der Hauptfigur, auf deren fatale Geschicke sich der Film ungeachtet
zahlreicher Nebenhandlungen des Romans beschränkt, geht diesmal aus der Exposition
klassischer Verschwörungsszenerie hervor: Lord Clancharlie, Haupt einer gegen
den Despotismus König James II. verbundenen Adelsfronde, stirbt nach Zerschlagung
derselben als Staatsverräter den Foltertod in der Skulptur einer sich langsam
schliessenden "Eisernen Jungfrau"; seine Familie wird "hinein bis
ins zweite und dritte Glied" belangt. Auch sein kleiner Sohn Gwynplaine fällt
der Rache des sadistisch gezeichneten, triumphierenden Herrschers anheim. Der
in diabolischer Entsprechung charakterisierte Hofnarr Barkilphedro, - er weiss
von Comprachos zu berichten, einer Bande in der Wildnis beheimateter Geächteter,
welche Kinder stehlen oder kaufen, diesen ein auf immer entstellendes breites
Grinsen in die kleinen Gesichter einschneidet, um sie als Jahrmarktsattraktion
der "lachenden Menschen" weiterzuverhandeln, inspiriert den König
zur Verwandlung des Waisenjungen in eine lachende Maske, welche anschliessend
in die Wildbahn ausgestossen wird.
Jahre des Herumirrens in einem von
Leni in stilistisch raffiniert als archaisch, unwirtlich gezeigten England des
17. Jahrhunderts, des Asyls winterlicher Ödhöfe, Vegetierens in Banden
Ausgestossener und wandernden Schaustellertruppen folgen.
Im Schneetreiben
rettet der Knabe einen Säugling aus den Armen der erfrorenen Mutter; der
"Philiosoph" und "Dramaturg" Ursus (....sehen Sie mein Stück
"in der Art von Shakespaere; nur grausamer") bietet beiden fortan ein
Heim. Deá, das Mädchen, welches er einst gerettet und infolge des
Schneesturmes erblindete, begleitet ihn fortan und ermöglicht ihm, als mittlerweile
zu Ruhm gelangter Clown und Hauptattraktion auf den Schaustellerbühnen der
Jahrmärkte auftretend, durch Akzeptanz und hingebungsvolle Zuneigung menschenwürdige
Existenz.
Barkilphedro´s Intrigen enthüllen die adlige Abstammung
des berühmten Clowns und betreiben die Rückkehr in den strahlenden Glanz
des Königshofes, wo er als befremdlich-maskierter "Pair von England"
dubioser Herkunft Aufmerksamkeit geniesst.
Auf
einem Empfang Queen Annes vollzieht sich der Eklat: da das stetige Lachen auf
dem Gesicchiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen und vermittels Filmschnitt
und Bildmontage zu flüssigen, dynamischen Abläufen gegliedert werden.
Des Weiteren erkannte Wegener den seinerzeit als Jahrmarktsbuden-Gauklereien belächelten
tricktechnischen Möglichkeiten der Kinematographie die Fähigkeit zu
verblüffender Illusion und glaubwürdiger Darstellung der Fantasy-Geschichten
zu.
Den opulenten Grossaufriss historischer Szenerie vermittels repräsentativen
Prachtdekors verwarf der "filmisch" gedachte Märchenfilm Wegeners
als vermeintliches Relikt von Bühnenpraktiken, welche von Darstellungsmöglichkeiten
neuen Bildmediums überwunden schienen, zugunsten "Verwandlungsszenen,
Überblendungen, Simultanblenden.... (der) Kamera, die sich fast ausschliesslich
an Originaldrehorten bewegt, durch die Wälder streift, über Täler
schwenkt, aus der Vogelperspektive auf Lichtungen blickt (Christiane Mückenberger/
Deutsche Spielfilme bis 1933). Wegeners Ansatz erweist sich zu jener Zeit eindeutig
als der kühnere, modernere filmischer Adaptierung.
Das zeitgenössische Feuilleton verwies demzufolge fortwährend auf das grundlegende Problem, das der neuen Kunstform bald erwuchs: Die potentielle Stagnation der Kinematographie im Stadium einer als unseriös angesehenen, spektakulären, technisch-optischen Spielerei; Sekundantin wahrer Künste wie Theater und Literatur, authentische oder gestellte Realität abzulichten, um sie der Öffentlichkeit dann "aus zweiter Hand" als Trivialfassung derselben zu offerieren.
Welche andererseits die Möglichkeit gegeben war, sich vermittels Strukturierung und bewusster Manipulation optischen Materials zum kreativen Freiraum autarker Realität aufgrund spezifischer dramaturgischer Gesetzmässigkeiten fortzubilden, welche den Kinemathographen der Literatur, dem Theater und den Bildenden Künsten gleichstellte.
Während die konservative Kritik jener Jahre der Verbeugung des Kinos vor den als wertbeständiger erachteten Gesetzmässigkeiten des grossbürgerlichen Repräsentationstheaters, welche sich im "Dornröschen"- Film Paul Leni´s vordergründig vollzog, dezent akklamierte: "Das alte, liebgewordene Märchen ist in eine romantische Hofatmosphäre übertragen, mit Königen, Prinzen, Ammen, Feen und alten Hexen....Wie lebendig gewordene Bilder alter Meister schritten König und Königin in prunkvollem Zuge vorüber, gefolgt von Rittern und Edeldamen mit spitzen Zuckerhüten und steifen Schleppkleidern....Das Märchen selbst ist mit grossem Geschick für die Zwecke des Films bearbeitet: sie (man) wahrte den poetischen Unterton und wich geschickt allen Modernisierungen aus."- zitiert aus "Lichtbild Bühne, Nr. 51, vom 22.12.1917, erhoben sich in späteren Jahren verstärkt abwertende Stimmen, welche der Idee Leni ´s von Dekor und Suggestion ein "allzu unterwürfiges Kleben" an eindimensional dahingebreiteten verlaufenden Vorlage und Phantasielosigkeit im Sinne filmischen Denkens konstatierten und dem dynamischeren heterogeneren Ansatz Wegeners den Vorzug gaben.
Holger Jörg
hat als Autor unserer Zeit die Bedenken bezüglich Leni´s Interpretationsansatz
in seinem Aufsatz: Die sagen- und märchenhafte Leinwand: Erzählstoffe
und Motive der Volksprosa im "Klassischen deutschen Stummfilm" 1910-30
zusammengefasst: "Obwohl vom Sujet her durchaus an die von Paul Wegener begründete
und gepflegte Tradition anknüpfend,...folgt Leni diesbezüglich eigenen,
fast konservativen Bestrebungen: Während sich Wegener vor allem darum bemüht,
seine Themen erzählerisch neu zu gestalten und dabei gleichzeitig die (trick)technischen
Möglichkeiten des Films voll auszuschöpfen, verzichtet Leni zugunsten
von Dekor und Kostüm auf solche Innovationen und adaptiert das klassische
Volksmärchen der Brüder Grimm in so buchstaben - bzw. typengetreuer
Form, daß man beinahe von einem bühnenreifen "Abklatsch"
sprechen könnte..." Jörg nimmt dabei auf ein in einer Fussnote
angeführtes Resümee von O. Kalbus aus dem Jahre 1935 Bezug: "Leni
...arbeitete weniger mit photographischen Tricks, sondern schwelgte in lebendig
gewordener Kunstgeschichte und Kostümkunde."
Der Umstand, daß
der Theater- und Filmmann Leni im Jahre 1917 auf dekorativen Impressionismus konzentrierte,
gibt uns wiederum Gelegenheit zum Studium überkommener Bühnenpraktiken
des Fin de siécle; wie es auch wenige erhalten gebliebene Fragmente der
damals kurzzeitig prosperierenden "Stummfilm-Opernverfilmungen" ermöglichen.
Diese mögen uns heute zwar als Kuriosum erscheinen, zeichneten aber die nahezu
authentisch im Atelier reproduzierten traditionellen szenischen Standard-Arrangements
der Werke auf, welche gelegentlich in um die Jahrhundertwende veröffentlichten
Opernlibretti in Skizzenform dargelegt wurden. (Die Musik wurde in den Kinos live
mit den örtlich gegebenen Möglichkeiten; von Solo-Klavierbegleitung
über Salonorchester mit Duettgesang bishin zu Vollreproduktionen mit Chor-
und Orchesterbegleitung in grossen Filmpalästen, sekundierend zum Opernfilm
dargeboten.)
In der in Bühnenbildentwürfen dokumentierten
originären Theaterarbeit der Jahre 1910-19, weicht Leni erheblich von den
in Filmen und Theaterphotographie dokumentierten Bühnenpraktiken der Jahrhundertwende
ab und kreierte für Klassiker-Aufführungen sichtlich abstrakt konzipierte,
perspektivisch-geometrisch angelegte Dekorationen, die in schmucklos-strenger
Sachlichkeit und der Reduktion auf wesentliche szenischen Elemente an Entwürfe
Adolphe Appias und Dekorationen von Jessner-Aufführungen gemahnen. Die Entwürfe
der Filmdekorationen wiederum verweisen weniger auf den Theater-Naturalismus der
Jahrhundertwende, als auf den gepflegten, barock oder klassizistisch akzentuierten
Realismus der langjährig die Reinhardt-Bühnen dominierenden Ausstattungsästhetik
Ernst Sterns, der als seriöser Antipode der Theatermoderne einzustufen ist.
Parallel zu repräsentativer Moderne grossbürgerlichen Theaters und dem
Ästhetizismus der Leinwand nahm Leni an den Bestrebungen der Avantgarde Anteil
und irritierte die Öffentlichkeit vermittels provokanter expressionistischer
Gesamtkunstwerke, welche er auf der Bühne des von ihm gegründeten Varièté-Unternehmens
"Die Gondel" vorstellte.
"Leni´s expressionistischen Architekturen etwa in dem "Droschenkutscher" passen sich mit ungewöhnlichem Geschick dem Publikum an, ohne ihr reizvoll dekoratives Flächenspiel aufzugeben. Aus drei Menschen in winterlich grotesk-kubischer Vermummung, einem Architektur-Hintergrund mit mannigfach zerbrochenen Flächen und Lichtern, Geräuschen aus Gassenhauern und Strassenlärm baut sich ein Bühnenbild auf, das die Bewegungsreize des Expressionismus geschickt verwertet. Die Reduktion des Bühnenbildes auf die einfachsten, klarsten Ausdrucksformen, raffiniert nur in ihren Überschneidungen, Brechungen und Harmonien, ist beispielhaft für die Möglichkeiten des Expressionismus als angewandter Kunst." schreibt Rudolf Kurz in seinem vielbeachteten zeitgenössischen Buch über den Expressionismus.
Vom "Austernleben der Deutschen" und der Deutschen Oper
Leni
und Drehbuchautor Rudolph Presber (welcher auch die ebenmässig gesetzte,
beschauliche, ansprechende Lyrik der Interimstafeln verfasste ) umgaben die "Dornröschen"-
Geschichte, Wegener und dessen Märchenverfilmungen gleich, mit einer kleinen,
allem Anschein nach belanglosen, Rahmenhandlung: "Die Grossmutter" liest
in der bodenständig-anheimelnden, warmen Stube, in einem archaischen Lehnstuhl
thronend, einigen eng an sie geschmiegten Kindern die Geschichte "aus alter
Zeit" vor, während draussen der Schnee fällt. Sie bietet somit
als ein den, auch innerhalb ihrer Erzählung beispielhaft aufgeworfen und
besänftigten, Stürmen des Lebens widerstehendes, konstituierendes Element,
einer Welturmutter gleich, den kleinen, schutzsuchend um sie drängenden und
atemlos lauschenden Menschenkindern Wärme und Zuwendung.
Den grandiosen,
suggestiven Edelkitsch-Märchenfilmen späterer Disney-Produktion gleich,
welche "die Grossmutter" durch schwere, Beständigkeit und Wertkonservativismus
demonstrierende Lederprachtbände ersetzen, die sich zu Beginn des Films öffnen
und den Zuschauer in die Märchenwelt einlassen, um sich nach dem Happy End
bewahrend zu schliessen, reflektieren Prolog und Epilog die zu allen Zeiten empfundene
Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und Liebe.
So
ward sie Braut, so hat sie sich vermählt,
Grossmutter hat's den Kindern
selbst erzählt,
Grossmutter weiss Geschichten ohne Zahl,
Sie fangen
alle an: Es war einmal...
Die Autoren fügen
sich damit einer signifikanten Tradition, die ausschliesslich dem deutschen Stummfilm
vorbehalten zu bleiben schien: die belehrende, erbauliche tiefgründende Darlegung
des "Wahren, Schönen, Guten", bedachtsam vollführt durch Prolog
und Epilog, welche, im Erzählton pathetisch, dem restaurativ-humanistischen
Welttheater deutscher Prägung verpflichtet, eine vermittels dramatischen
Kerngeschehens erteilte moralische Lektion nachdrücklich festzuschreiben
trachteten.
Die Gepflogenheit sekundierender, oder assoziativer Umschreibungen des Hauptgeschehens; der Zergliederung des Handlungsverlaufs durch Ruhepunkte resümierender Interludien, ist bezeichnenderweise zahlreichen der mit quasiliterarischem Anspruch konzipierten deutschen Stummfilmklassiker zu eigen; Filmen wie "Das Cabinett des Dr. Caligari" von Robert Wiene; 1920, "Der müde Tod" von Fritz Lang, 1921, "Nosferatu" von Friedrich-Wilhelm Murnau, 1922, "Die Nibelungen 1. Teil - Siegfrieds Tod" von Lang, 1924, "Geheimnisse einer Seele" von Georg Wilhelm Papst, 1926, "Faust: Eine deutsche Volkssage" von Murnau, 1926; Sie verweist, über spezifisch filmische Belange hinausgehend, auf tiefgründiger beschaffene Obsessionen synonymen, Befindlichkeiten der deutschen Seele reflektierenden Erzählens auf.
Der deutsche Schriftsteller Siegfried
Kracauer, (der sich vor allem mit einer soziologischen Analyse des frühen
deutschen Films mit dem Titel "Von Caligari bis Hitler" als bahnbrechender
Filmtheoretiker hervortat) sieht in der befremdlichen Bedächtigkeit, die
der deutsche Stummfilm in ein unstetes, technisch-kreatives Medium einbrachte,
einen deutlichen Verweis auf die Gepflogenheit des Deutschen, sich in der Rolle
des Erzählers oder Zuhörers, also der Offenbarung sorgsam gehüteter
intimer Ressourcen des Denkens, Fühlens und Bestrebens, keinesfalls über
die Maßen gehen zu lassen. Kracauer zufolge war er vielmehr von vornherein
darauf bedacht, die Erzählsituation - quasi wie ein
die empfindsame Seele
und nonkonforme Sehnsüchte bergendes Festungsareal - genau auszuzirkulieren
und verfiel folgerichtig auf ein filmisches Synonym des "manischen Hangs
des Deutschen, vor der feindlichen Welt zu flüchten und sich gleichzeitig
in eine Muschelschale zurückzuziehen." Kracauer verweist dabei in direkter
Linie zurück zu Hölderlin und der im "Hyperion" aufgestellten
These "Vom Austernleben der Deutschen".
Lotte
H. Eisner, die rennomierte Pionierin der Filmwissenschaft und sachkundige Wegbegleiterin
des deutschen Stummfilms neigt in ihrem Standardwerk: "Die dämonische
Leinwand" zum Widerspruch gegen Kracauers These und fragt sich: "Ist
es vielleicht nicht noch mehr der typisch deutsche Hang zur langatmigen, epischen
Erzählung, der zu dieser Rahmenform geführt hat? Der Deutsche liebt
das Komplizierte, das zeigt schon die verzwickte Einschachtelung von Nebensätzen
in einen Hauptsatz."
Beides scheint zuzutreffen:
Der Ruhebereich einer schützenden, beidseitig sichernden Rahmenhandlung,
gewährt nicht allein dem Erzähler die Aura verbriefter Seriosität,
auch dem Zuhörer ist eine Fliehburg eröffnet, in welcher er sich im
Sinne Hölderlins, geschützt vor einer verständnislosen Welt der
Sekundärtugenden dem "Wahren, Schönen, Guten" hingeben kann.
Andererseits bot das "Komplizierte" , das der "Deutsche" -
dieses bis in unsere Zeit hinein betont spröde, emotional sperrige, Leidenschaften
vorzüglich funktional auf Konstruktion und Durchdringung komplexer wissenschaftlicher
oder sozialer Strukturen aufwendende, von "Dichtern und Denkern" angeleitete
Landeskind - Lotte H. Eisner zufolge liebt, dämmende, regulierende Barrieren
und Kanäle, die beargwöhntes Sichverlieren in ersehnte, aber als Synonym
für Unseriosität zielstrebig unterdrückte emotional Erschütterung
bei der Rezeption dramatischer Darbietungen verhinderten.
Die "Deutsche
Oper", von bedeutendsten Komponisten des deutschsprachigen Raums Ende des
18. Jahrhunderts unablässig propagiert, aber erst im Jahre 1824 von Carl
Maria von Weber mit der ungemein erfolgreichen Berliner Uraufführung seines
Singspiels "Der Freischütz" - dem "Hohelied des deutschen
Waldes" - realisiert, entspricht dieser humanistisch-nationalen Kunstauffassung
formal und dramaturgisch vollständig.
Robert Schumann, der als "deutschester"
der Komponisten im Pantheon deutscher Klassiker und Romantiker der Musik die besten
Seiten fragwürdig propagierten Verständnisses des "Deutschseins"
verinnerlichte: zwanghaft zu Werke gehende Nachdenklichkeit, die, in Kompensation
nihilistisch gepflogener Schwermut, dem maroden Weltgefüge als Streiter idealischer
Integrität gegenübertritt - forderte einer Deutschen Oper eigener Hand
- um die er ein Leben lang vergebens rang zuförderst ab: "...sie müsse
vom unanzweifelbaren Wert von Dichtung und Musik her imstande sein, "an "der
moralischen Besserung einer unheilen Welt" mitzuwirken. Er übernahm
damit den im Jahre 1843 von dem Dramatiker Friedrich Hebbel an das deutsche Theater
gestellten Anspruch: "Übrigens ist ein jedes Drama nur soweit lebendig,
als es der Zeit, in der es entspringt, d. h. ihren höchsten und wahrsten
Interessen (zu denen für Hebbel, ebenso wie für Richard Wagner der Nationalgedanke
zählte; Gerd Nauhaus) zum Ausdruck dient."
Richard Wagner war es beschieden, die Deutsche Oper vom balsamischen Pastellfarbentonfall erhabender Singspiele zum Extremismus musikalisch expressivst, gewichtig dahingebreiteter Musikdramen vielstündiger Spieldauer, archaisch-verbindlich autorisierter Tetralogien und Bühnenweihfestspiele zu führen. Folgerichtig beherbergt ein exklusiv errichtetes "Richard Wagner Nationaltheater", in Vollendung des Gedankens an Kulturinstitutionen erdenklich ausschliesslich als Volksbildungsanstalten, als "hohes Fest für alle kunstliebenden Angehörigen des deutschen Volkes" bis zum heutigen Tage die Summe deutschen Opernideals in spezifischer Definition eines Richard Wagner.
Konzeptionell entspricht
die Deutsche Oper im Anspruch, das "Wahre, Schöne, Gute" nicht
allein zur Kenntnis zu geben, sondern formell zu zelebrieren, dem Gestus "deutschen
Erzählens".
Im Gegensatz zu Werken anderer Opernnationen, oftmals
mit wenigen prägnanten Takten eröffnet oder von kurzen Orchestervorspielen
in die Stimmung des Bühnengeschehens geführt, gehen Bühnenwerken
Beethovens, Schuberts, Webers Schumanns, Wagners und anderer episch konzipierte
Vorspiele voran, welche in der Komplexität musikalischer Struktur, der Dichte
symphonischen Gewebes, im Range eigenständiger symphonischer Dichtungen stehen.
Der Erfolg separater Aufführungen derselben auf dem Konzertpodium, lässt
auf hohen musikalischen Anspruch an einen Prolog schliessen, dessen Funktion die
Vorbereitung auf ethische Befindlichkeiten einer hinter geschlossenem Vorhange
verborgenen Welt der Parabel ist.
"Papa"
Laemmle´s "Best Buy"
Im Jahre 1924
engagierte Universal-Chef Carl Laemmle, beeindruckt von einer Vorstellung des
"Wachsfigurenkabinett", Paul Leni nach Hollywood. Bis zum Tode im Jahre
1927 realisierte er dort 4 Filme, im Zuge derer er die Ästhetik psychologischen
Impressionismus zu Suggestionen hin zu steigern verstand, welche der amerikanischen
Film bis nicht kannte.
Die pragmatische Weltoffenheit amerikanischen Filmbusiness,
verbunden mit der Risikofreude amerikanischer Producer angesichts potentieller
Gewinnträchtigkeit eines Projekts - der in Schwaben geborene Filmpionier
Carl Laemmle und das von ihm mit einer gewissen Bauernschläue geführte
Universal-Studio zeigen es exemplarisch - sowie die technisch-handwerkliche Perfektion
in der Produktion von Hollywood-"Movies" gleichbleibend hoher Qualität,
dürfte hochgradig inspirierend auf den Gestalter Paul Leni gewirkt haben.
In einer vom wertkonservativ geprägtem Druck öffentlicher Meinung der
Weimarer Republik befreiten Atmosphäre, welche sich ausschliesslich an den
Positionen geschäftlichen Erfolgs oder Misserfolgs orientierte, löste
er sich vom Erbe statuarischen, literarisch verstandenen deutschen Meisterfilms
hin zum Freiland experimenteller Virtuosität unter Vervollkommnung eigner
bewährter Ausdruchsmittel. Bezeichnenderweise entwickelten sich entscheidende
filmästhetische Perspektiven anlässlich der Adaption von Trivial-Sujets,
die der deutsche Meisterfilm und die Elite des Berliner Feuilletons niemals akzeptiert
hätten.
Fortwährend bestrebt, das Suggestivpotential der Leinwandimpression
zu vervollkommnen, machte Leni sich in verstärktem Maße die Gestaltungsmöglichkeiten
der Kamera als originäres virtuoses Handwerkszeug kreativ gehandhabten Kinos
zunutze.
Innovativer Gebrauch von Kamera und Schnitt im Kino Paul Leni`s:
das bezieht sich weniger auf filmische Analyse und Gliederung der vorliegenden
Sujets, sondern, der These analytisch vorgehender expressiver Binnendramaturgie
der Einstellungen folgend, - symbolträchtige Kameraperspektiven und Fahrten,
welche die dem Dekor implizierten Stimmungen verstärkt reproduzieren.
Um eine Vorstellung der überwältigenden Wirkung traumatischer Bilder ästhetischer Vollkommenheit der Hollywoodfilme Lenis auf Publikum und Fachkollegen jener Zeit zu geben, sei der Vergleich zweier wesensverwandter Sensationsfilme versucht, die das Universal-Studio Mitte -Ende der 20ziger Jahre produzierte und hinsichtlich handwerklicher Perfektion und ästhetischer Wirkung nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können.
Im Jahre 1923 wagte
sich Laemmle´s Universal-Studio an eine Sensations-Verfilmung von Victor
Hugo´s bekannten Zeit- und Sittengemälde ausgehenden Mittelalters in
Romanform "Notre Dame de Paris" unter dem Titel " The hunchback
of Notre Dame", welche das Unternehmen im Rang eines führenden Hollywood-Studios
nachhaltig verfestigen sollte.
Laemmle bestand deshalb auf einem, der episch
angelegten Monumental-Vorlage des Buches entsprechenden, produktionstechnischen
Kraftakt.
Die erforderlichen Dekorationen von Strassen und Plätzen des
mittelalterlichen Paris, der von drei gewaltigen Portalen beherrschten Westfassade
der Kathedrale, des von gotischen Bauten gesäumte Domhofs wurden nicht, wie
oftmals vorgenommen, im Atelier durch Teilbauten und bemalte Prospekte simuliert,
sondern auf Freigelände des Studios real errichtet. Massenkomparserie und
simultan erforderliches Aufkommen mittelalterlicher Kostümierung liessen
das Produktionsbudget auf die für damalige Verhältnisse exorbitant hohe
Summe von 1 250 000 Dollar anwachsen.
Die Berechnung eines forcierten
Universal-Blockbuster des Geschäftjahres 1924 ging auf, der Film zog als
sensationell aufbereitetes, melodramatisches, geringfügig von Horrorelementen
durchsetztes Historienspektakel Zuschauermassen in die Kinos.
Die künstlerische
Bilanz des Films fiel hingegen nahezu katastrophal aus. Von der Bereitstellung
einer authentisch rekonstruierten Notre-Dame Fassade abgesehen, präsentieren
sich die Nachbauten mittelalterlicher Strassenzüge als stilistisch heterogen
ausfallende, unverbindlich historisierende Phantasiedekorationen, blieb das Kostümdesign
der Wiederbelebung von absurder Klischees der Mittelalterverklärung des 19.
Jahrhunderts verhaftet.
Auch die szenische Realisierung von Hugo´s melodramatischem Plot um die Zigeunerin Esmeralda, den Buckligen von Notre Dame, das Volk und die Bettler von Paris erweist sich als belanglos. Regisseur Wallace Worsley kam mit den Anforderungen der Grossproduktion (William Wyler, Regie-Star späterer Jahre, war als Hilfsregisseur von Massenszenen tätig) augenfällig nicht zurecht und hatte darüber hinaus mit Alkoholproblemen zu kämpfen; sodass Hauptdarsteller Lon Chaney für einen Grossteil der Szenen auch die Regie übernahm. (Filmhistoriker vermuten mittlerweile Intrigen Chaneys bezüglich Engagements Worsley´s als Regisseur des Projekts, da ihm - in Bewusstheit der Schwächen desselben - somit stärkerer Einfluss auf das Prestigeprojekt gewährleistet schien, als sie ein Star üblicherweise auszuüben vermochte.) Den szenischen Höhepunkten wurde, ungeachtet einiger beachtlicher darstellerischer Leistungen, dramatisch effiziente Umsetzung durchweg schuldig geblieben.
Les Caprices d´horreur
de Barkilphedro
Im Jahre 1927 wurde Paul Leni als
neuer Star-Regisseur des Studios von Universal-Producer Paul Kohner mit der Verfilmung
eines anderen Victor Hugo-Sujets betraut, der allerdings nicht den Bekanntheitsgrad
des "Notre Dame" Themas aufwies, welches vor der Prestige Produktion
des Studios bereits fünfmal verfilmt worden war.
Dessen ungeachtet erwies
sich der Hugo-Roman "Die lachende Maske" als Synonym düsterst eingestimmter
französischer Romantik - im Benehmen extremistischer Überzeichnung grausam-skurriler
Wendung individuellen Schicksals als Symbol der Conditio Humana reinem Fatalismus
Vorschub leistend - dem monumentaler veranschlagten populären "Notre
Dame" Opus ebenbürtig. In den Verstrickungen tiefenpsychologisch-verhängnisvoll
eröffneter Abgründigkeit ergiebiger, bot der Roman reichhaltig melodramatisches
Potential gleichnishaft entworfener grandioser Ballade archaischer Vergangenheit
zu Kreation eines pittoresk ausfallenden, stimmungsvollen Filmes.
Die
für das Oeuvre Hugo´s symptomatische Aussenseitersituation (Siehe "Les
Miserables", "Hernani" und "Le Roi s´amuse", auch
bekannt unter dem Titel "Rigoletto" in der Opernbearbeitung Giuseppe
Verdi´s) der Hauptfigur, auf deren fatale Geschicke sich der Film ungeachtet
zahlreicher Nebenhandlungen des Romans beschränkt, geht diesmal aus der Exposition
klassischer Verschwörungsszenerie hervor: Lord Clancharlie, Haupt einer gegen
den Despotismus König James II. verbundenen Adelsfronde, stirbt nach Zerschlagung
derselben als Staatsverräter den Foltertod in der Skulptur einer sich langsam
schliessenden "Eisernen Jungfrau"; seine Familie wird "hinein bis
ins zweite und dritte Glied" belangt. Auch sein kleiner Sohn Gwynplaine fällt
der Rache des sadistisch gezeichneten, triumphierenden Herrschers anheim. Der
in diabolischer Entsprechung charakterisierte Hofnarr Barkilphedro, - er weiss
von Comprachos zu berichten, einer Bande in der Wildnis beheimateter Geächteter,
welche Kinder stehlen oder kaufen, diesen ein auf immer entstellendes breites
Grinsen in die kleinen Gesichter einschneidet, um sie als Jahrmarktsattraktion
der "lachenden Menschen" weiterzuverhandeln, inspiriert den König
zur Verwandlung des Waisenjungen in eine lachende Maske, welche anschliessend
in die Wildbahn ausgestossen wird.
Jahre des Herumirrens in einem von
Leni in stilistisch raffiniert als archaisch, unwirtlich gezeigten England des
17. Jahrhunderts, des Asyls winterlicher Ödhöfe, Vegetierens in Banden
Ausgestossener und wandernden Schaustellertruppen folgen.
Im Schneetreiben
rettet der Knabe einen Säugling aus den Armen der erfrorenen Mutter; der
"Philiosoph" und "Dramaturg" Ursus (....sehen Sie mein Stück
"in der Art von Shakespaere; nur grausamer") bietet beiden fortan ein
Heim. Deá, das Mädchen, welches er einst gerettet und infolge des
Schneesturmes erblindete, begleitet ihn fortan und ermöglicht ihm, als mittlerweile
zu Ruhm gelangter Clown und Hauptattraktion auf den Schaustellerbühnen der
Jahrmärkte auftretend, durch Akzeptanz und hingebungsvolle Zuneigung menschenwürdige
Existenz.
Barkilphedro´s Intrigen enthüllen die adlige Abstammung
des berühmten Clowns und betreiben die Rückkehr in den strahlenden Glanz
des Königshofes, wo er als befremdlich-maskierter "Pair von England"
dubioser Herkunft Aufmerksamkeit geniesst.
Auf
einem Empfang Queen Annes vollzieht sich der EklaÐ ˆO Ú
• ˆOv ÿ v £ chiedlichen Kameraperspektiven aufgenommen und vermittels Filmschnitt
und Bildmontage zu flüssigen, dynamischen Abläufen gegliedert werden.
Des Weiteren erkannte Wegener den seinerzeit als Jahrmarktsbuden-Gauklereien belächelten
tricktechnischen Möglichkeiten der Kinematographie die Fähigkeit zu
verblüffender Illusion und glaubwürdiger Darstellung der Fantasy-Geschichten
zu.
Den opulenten Grossaufriss historischer Szenerie vermittels repräsentativen
Prachtdekors verwarf der "filmisch" gedachte Märchenfilm Wegeners
als vermeintliches Relikt von Bühnenpraktiken, welche von Darstellungsmöglichkeiten
neuen Bildmediums überwunden schienen, zugunsten "Verwandlungsszenen,
Überblendungen, Simultanblenden.... (der) Kamera, die sich fast ausschliesslich
an Originaldrehorten bewegt, durch die Wälder streift, über Täler
schwenkt, aus der Vogelperspektive auf Lichtungen blickt (Christiane Mückenberger/
Deutsche Spielfilme bis 1933). Wegeners Ansatz erweist sich zu jener Zeit eindeutig
als der kühnere, modernere filmischer Adaptierung.
Das zeitgenössische Feuilleton verwies demzufolge fortwährend auf das grundlegende Problem, das der neuen Kunstform bald erwuchs: Die potentielle Stagnation der Kinematographie im Stadium einer als unseriös angesehenen, spektakulären, technisch-optischen Spielerei; Sekundantin wahrer Künste wie Theater und Literatur, authentische oder gestellte Realität abzulichten, um sie der Öffentlichkeit dann "aus zweiter Hand" als Trivialfassung derselben zu offerieren.
Welche andererseits die Möglichkeit gegeben war, sich vermittels Strukturierung und bewusster Manipulation optischen Materials zum kreativen Freiraum autarker Realität aufgrund spezifischer dramaturgischer Gesetzmässigkeiten fortzubilden, welche den Kinemathographen der Literatur, dem Theater und den Bildenden Künsten gleichstellte.
Während die konservative Kritik jener Jahre der Verbeugung des Kinos vor den als wertbeständiger erachteten Gesetzmässigkeiten des grossbürgerlichen Repräsentationstheaters, welche sich im "Dornröschen"- Film Paul Leni´s vordergründig vollzog, dezent akklamierte: "Das alte, liebgewordene Märchen ist in eine romantische Hofatmosphäre übertragen, mit Königen, Prinzen, Ammen, Feen und alten Hexen....Wie lebendig gewordene Bilder alter Meister schritten König und Königin in prunkvollem Zuge vorüber, gefolgt von Rittern und Edeldamen mit spitzen Zuckerhüten und steifen Schleppkleidern....Das Märchen selbst ist mit grossem Geschick für die Zwecke des Films bearbeitet: sie (man) wahrte den poetischen Unterton und wich geschickt allen Modernisierungen aus."- zitiert aus "Lichtbild Bühne, Nr. 51, vom 22.12.1917, erhoben sich in späteren Jahren verstärkt abwertende Stimmen, welche der Idee Leni ´s von Dekor und Suggestion ein "allzu unterwürfiges Kleben" an eindimensional dahingebreiteten verlaufenden Vorlage und Phantasielosigkeit im Sinne filmischen Denkens konstatierten und dem dynamischeren heterogeneren Ansatz Wegeners den Vorzug gaben.
Holger Jörg
hat als Autor unserer Zeit die Bedenken bezüglich Leni´s Interpretationsansatz
in seinem Aufsatz: Die sagen- und märchenhafte Leinwand: Erzählstoffe
und Motive der Volksprosa im "Klassischen deutschen Stummfilm" 1910-30
zusammengefasst: "Obwohl vom Sujet her durchaus an die von Paul Wegener begründete
und gepflegte Tradition anknüpfend,...folgt Leni diesbezüglich eigenen,
fast konservativen Bestrebungen: Während sich Wegener vor allem darum bemüht,
seine Themen erzählerisch neu zu gestalten und dabei gleichzeitig die (trick)technischen
Möglichkeiten des Films voll auszuschöpfen, verzichtet Leni zugunsten
von Dekor und Kostüm auf solche Innovationen und adaptiert das klassische
Volksmärchen der Brüder Grimm in so buchstaben - bzw. typengetreuer
Form, daß man beinahe von einem bühnenreifen "Abklatsch"
sprechen könnte..." Jörg nimmt dabei auf ein in einer Fussnote
angeführtes Resümee von O. Kalbus aus dem Jahre 1935 Bezug: "Leni
...arbeitete weniger mit photographischen Tricks, sondern schwelgte in lebendig
gewordener Kunstgeschichte und Kostümkunde."
Der Umstand, daß
der Theater- und Filmmann Leni im Jahre 1917 auf dekorativen Impressionismus konzentrierte,
gibt uns wiederum Gelegenheit zum Studium überkommener Bühnenpraktiken
des Fin de siécle; wie es auch wenige erhalten gebliebene Fragmente der
damals kurzzeitig prosperierenden "Stummfilm-Opernverfilmungen" ermöglichen.
Diese mögen uns heute zwar als Kuriosum erscheinen, zeichneten aber die nahezu
authentisch im Atelier reproduzierten traditionellen szenischen Standard-Arrangements
der Werke auf, welche gelegentlich in um die Jahrhundertwende veröffentlichten
Opernlibretti in Skizzenform dargelegt wurden. (Die Musik wurde in den Kinos live
mit den örtlich gegebenen Möglichkeiten; von Solo-Klavierbegleitung
über Salonorchester mit Duettgesang bishin zu Vollreproduktionen mit Chor-
und Orchesterbegleitung in grossen Filmpalästen, sekundierend zum Opernfilm
dargeboten.)
In der in Bühnenbildentwürfen dokumentierten
originären Theaterarbeit der Jahre 1910-19, weicht Leni erheblich von den
in Filmen und Theaterphotographie dokumentierten Bühnenpraktiken der Jahrhundertwende
ab und kreierte für Klassiker-Aufführungen sichtlich abstrakt konzipierte,
perspektivisch-geometrisch angelegte Dekorationen, die in schmucklos-strenger
Sachlichkeit und der Reduktion auf wesentliche szenischen Elemente an Entwürfe
Adolphe Appias und Dekorationen von Jessner-Aufführungen gemahnen. Die Entwürfe
der Filmdekorationen wiederum verweisen weniger auf den Theater-Naturalismus der
Jahrhundertwende, als auf den gepflegten, barock oder klassizistisch akzentuierten
Realismus der langjährig die Reinhardt-Bühnen dominierenden Ausstattungsästhetik
Ernst Sterns, der als seriöser Antipode der Theatermoderne einzustufen ist.
Parallel zu repräsentativer Moderne grossbürgerlichen Theaters und dem
Ästhetizismus der Leinwand nahm Leni an den Bestrebungen der Avantgarde Anteil
und irritierte die Öffentlichkeit vermittels provokanter expressionistischer
Gesamtkunstwerke, welche er auf der Bühne des von ihm gegründeten Varièté-Unternehmens
"Die Gondel" vorstellte.
"Leni´s expressionistischen Architekturen etwa in dem "Droschenkutscher" passen sich mit ungewöhnlichem Geschick dem Publikum an, ohne ihr reizvoll dekoratives Flächenspiel aufzugeben. Aus drei Menschen in winterlich grotesk-kubischer Vermummung, einem Architektur-Hintergrund mit mannigfach zerbrochenen Flächen und Lichtern, Geräuschen aus Gassenhauern und Strassenlärm baut sich ein Bühnenbild auf, das die Bewegungsreize des Expressionismus geschickt verwertet. Die Reduktion des Bühnenbildes auf die einfachsten, klarsten Ausdrucksformen, raffiniert nur in ihren Überschneidungen, Brechungen und Harmonien, ist beispielhaft für die Möglichkeiten des Expressionismus als angewandter Kunst." schreibt Rudolf Kurz in seinem vielbeachteten zeitgenössischen Buch über den Expressionismus.
Vom "Austernleben der Deutschen" und der Deutschen Oper
Leni
und Drehbuchautor Rudolph Presber (welcher auch die ebenmässig gesetzte,
beschauliche, ansprechende Lyrik der Interimstafeln verfasste ) umgaben die "Dornröschen"-
Geschichte, Wegener und dessen Märchenverfilmungen gleich, mit einer kleinen,
allem Anschein nach belanglosen, Rahmenhandlung: "Die Grossmutter" liest
in der bodenständig-anheimelnden, warmen Stube, in einem archaischen Lehnstuhl
thronend, einigen eng an sie geschmiegten Kindern die Geschichte "aus alter
Zeit" vor, während draussen der Schnee fällt. Sie bietet somit
als ein den, auch innerhalb ihrer Erzählung beispielhaft aufgeworfen und
besänftigten, Stürmen des Lebens widerstehendes, konstituierendes Element,
einer Welturmutter gleich, den kleinen, schutzsuchend um sie drängenden und
atemlos lauschenden Menschenkindern Wärme und Zuwendung.
Den grandiosen,
suggestiven Edelkitsch-Märchenfilmen späterer Disney-Produktion gleich,
welche "die Grossmutter" durch schwere, Beständigkeit und Wertkonservativismus
demonstrierende Lederprachtbände ersetzen, die sich zu Beginn des Films öffnen
und den Zuschauer in die Märchenwelt einlassen, um sich nach dem Happy End
bewahrend zu schliessen, reflektieren Prolog und Epilog die zu allen Zeiten empfundene
Sehnsucht der Menschen nach Geborgenheit und Liebe.
So
ward sie Braut, so hat sie sich vermählt,
Grossmutter hat's den Kindern
selbst erzählt,
Grossmutter weiss Geschichten ohne Zahl,
Sie fangen
alle an: Es war einmal...
Die Autoren fügen
sich damit einer signifikanten Tradition, die ausschliesslich dem deutschen Stummfilm
vorbehalten zu bleiben schien: die belehrende, erbauliche tiefgründende Darlegung
des "Wahren, Schönen, Guten", bedachtsam vollführt durch Prolog
und Epilog, welche, im Erzählton pathetisch, dem restaurativ-humanistischen
Welttheater deutscher Prägung verpflichtet, eine vermittels dramatischen
Kerngeschehens erteilte moralische Lektion nachdrücklich festzuschreiben
trachteten.
Die Gepflogenheit sekundierender, oder assoziativer Umschreibungen des Hauptgeschehens; der Zergliederung des Handlungsverlaufs durch Ruhepunkte resümierender Interludien, ist bezeichnenderweise zahlreichen der mit quasiliterarischem Anspruch konzipierten deutschen Stummfilmklassiker zu eigen; Filmen wie "Das Cabinett des Dr. Caligari" von Robert Wiene; 1920, "Der müde Tod" von Fritz Lang, 1921, "Nosferatu" von Friedrich-Wilhelm Murnau, 1922, "Die Nibelungen 1. Teil - Siegfrieds Tod" von Lang, 1924, "Geheimnisse einer Seele" von Georg Wilhelm Papst, 1926, "Faust: Eine deutsche Volkssage" von Murnau, 1926; Sie verweist, über spezifisch filmische Belange hinausgehend, auf tiefgründiger beschaffene Obsessionen synonymen, Befindlichkeiten der deutschen Seele reflektierenden Erzählens auf.
Der deutsche Schriftsteller Siegfried
Kracauer, (der sich vor allem mit einer soziologischen Analyse des frühen
deutschen Films mit dem Titel "Von Caligari bis Hitler" als bahnbrechender
Filmtheoretiker hervortat) sieht in der befremdlichen Bedächtigkeit, die
der deutsche Stummfilm in ein unstetes, technisch-kreatives Medium einbrachte,
einen deutlichen Verweis auf die Gepflogenheit des Deutschen, sich in der Rolle
des Erzählers oder Zuhörers, also der Offenbarung sorgsam gehüteter
intimer Ressourcen des Denkens, Fühlens und Bestrebens, keinesfalls über
die Maßen gehen zu lassen. Kracauer zufolge war er vielmehr von vornherein
darauf bedacht, die Erzählsituation - quasi wie ein
die empfindsame Seele
und nonkonforme Sehnsüchte bergendes Festungsareal - genau auszuzirkulieren
und verfiel folgerichtig auf ein filmisches Synonym des "manischen Hangs
des Deutschen, vor der feindlichen Welt zu flüchten und sich gleichzeitig
in eine Muschelschale zurückzuziehen." Kracauer verweist dabei in direkter
Linie zurück zu Hölderlin und der im "Hyperion" aufgestellten
These "Vom Austernleben der Deutschen".
Lotte
H. Eisner, die rennomierte Pionierin der Filmwissenschaft und sachkundige Wegbegleiterin
des deutschen Stummfilms neigt in ihrem Standardwerk: "Die dämonische
Leinwand" zum Widerspruch gegen Kracauers These und fragt sich: "Ist
es vielleicht nicht noch mehr der typisch deutsche Hang zur langatmigen, epischen
Erzählung, der zu dieser Rahmenform geführt hat? Der Deutsche liebt
das Komplizierte, das zeigt schon die verzwickte Einschachtelung von Nebensätzen
in einen Hauptsatz."
Beides scheint zuzutreffen:
Der Ruhebereich einer schützenden, beidseitig sichernden Rahmenhandlung,
gewährt nicht allein dem Erzähler die Aura verbriefter Seriosität,
auch dem Zuhörer ist eine Fliehburg eröffnet, in welcher er sich im
Sinne Hölderlins, geschützt vor einer verständnislosen Welt der
Sekundärtugenden dem "Wahren, Schönen, Guten" hingeben kann.
Andererseits bot das "Komplizierte" , das der "Deutsche" -
dieses bis in unsere Zeit hinein betont spröde, emotional sperrige, Leidenschaften
vorzüglich funktional auf Konstruktion und Durchdringung komplexer wissenschaftlicher
oder sozialer Strukturen aufwendende, von "Dichtern und Denkern" angeleitete
Landeskind - Lotte H. Eisner zufolge liebt, dämmende, regulierende Barrieren
und Kanäle, die beargwöhntes Sichverlieren in ersehnte, aber als Synonym
für Unseriosität zielstrebig unterdrückte emotional Erschütterung
bei der Rezeption dramatischer Darbietungen verhinderten.
Die "Deutsche
Oper", von bedeutendsten Komponisten des deutschsprachigen Raums Ende des
18. Jahrhunderts unablässig propagiert, aber erst im Jahre 1824 von Carl
Maria von Weber mit der ungemein erfolgreichen Berliner Uraufführung seines
Singspiels "Der Freischütz" - dem "Hohelied des deutschen
Waldes" - realisiert, entspricht dieser humanistisch-nationalen Kunstauffassung
formal und dramaturgisch vollständig.
Robert Schumann, der als "deutschester"
der Komponisten im Pantheon deutscher Klassiker und Romantiker der Musik die besten
Seiten fragwürdig propagierten Verständnisses des "Deutschseins"
verinnerlichte: zwanghaft zu Werke gehende Nachdenklichkeit, die, in Kompensation
nihilistisch gepflogener Schwermut, dem maroden Weltgefüge als Streiter idealischer
Integrität gegenübertritt - forderte einer Deutschen Oper eigener Hand
- um die er ein Leben lang vergebens rang zuförderst ab: "...sie müsse
vom unanzweifelbaren Wert von Dichtung und Musik her imstande sein, "an "der
moralischen Besserung einer unheilen Welt" mitzuwirken. Er übernahm
damit den im Jahre 1843 von dem Dramatiker Friedrich Hebbel an das deutsche Theater
gestellten Anspruch: "Übrigens ist ein jedes Drama nur soweit lebendig,
als es der Zeit, in der es entspringt, d. h. ihren höchsten und wahrsten
Interessen (zu denen für Hebbel, ebenso wie für Richard Wagner der Nationalgedanke
zählte; Gerd Nauhaus) zum Ausdruck dient."
Richard Wagner war es beschieden, die Deutsche Oper vom balsamischen Pastellfarbentonfall erhabender Singspiele zum Extremismus musikalisch expressivst, gewichtig dahingebreiteter Musikdramen vielstündiger Spieldauer, archaisch-verbindlich autorisierter Tetralogien und Bühnenweihfestspiele zu führen. Folgerichtig beherbergt ein exklusiv errichtetes "Richard Wagner Nationaltheater", in Vollendung des Gedankens an Kulturinstitutionen erdenklich ausschliesslich als Volksbildungsanstalten, als "hohes Fest für alle kunstliebenden Angehörigen des deutschen Volkes" bis zum heutigen Tage die Summe deutschen Opernideals in spezifischer Definition eines Richard Wagner.
Konzeptionell entspricht
die Deutsche Oper im Anspruch, das "Wahre, Schöne, Gute" nicht
allein zur Kenntnis zu geben, sondern formell zu zelebrieren, dem Gestus "deutschen
Erzählens".
Im Gegensatz zu Werken anderer Opernnationen, oftmals
mit wenigen prägnanten Takten eröffnet oder von kurzen Orchestervorspielen
in die Stimmung des Bühnengeschehens geführt, gehen Bühnenwerken
Beethovens, Schuberts, Webers Schumanns, Wagners und anderer episch konzipierte
Vorspiele voran, welche in der Komplexität musikalischer Struktur, der Dichte
symphonischen Gewebes, im Range eigenständiger symphonischer Dichtungen stehen.
Der Erfolg separater Aufführungen derselben auf dem Konzertpodium, lässt
auf hohen musikalischen Anspruch an einen Prolog schliessen, dessen Funktion die
Vorbereitung auf ethische Befindlichkeiten einer hinter geschlossenem Vorhange
verborgenen Welt der Parabel ist.
"Papa"
Laemmle´s "Best Buy"
Im Jahre 1924
engagierte Universal-Chef Carl Laemmle, beeindruckt von einer Vorstellung des
"Wachsfigurenkabinett", Paul Leni nach Hollywood. Bis zum Tode im Jahre
1927 realisierte er dort 4 Filme, im Zuge derer er die Ästhetik psychologischen
Impressionismus zu Suggestionen hin zu steigern verstand, welche der amerikanischen
Film bis nicht kannte.
Die pragmatische Weltoffenheit amerikanischen Filmbusiness,
verbunden mit der Risikofreude amerikanischer Producer angesichts potentieller
Gewinnträchtigkeit eines Projekts - der in Schwaben geborene Filmpionier
Carl Laemmle und das von ihm mit einer gewissen Bauernschläue geführte
Universal-Studio zeigen es exemplarisch - sowie die technisch-handwerkliche Perfektion
in der Produktion von Hollywood-"Movies" gleichbleibend hoher Qualität,
dürfte hochgradig inspirierend auf den Gestalter Paul Leni gewirkt haben.
In einer vom wertkonservativ geprägtem Druck öffentlicher Meinung der
Weimarer Republik befreiten Atmosphäre, welche sich ausschliesslich an den
Positionen geschäftlichen Erfolgs oder Misserfolgs orientierte, löste
er sich vom Erbe statuarischen, literarisch verstandenen deutschen Meisterfilms
hin zum Freiland experimenteller Virtuosität unter Vervollkommnung eigner
bewährter Ausdruchsmittel. Bezeichnenderweise entwickelten sich entscheidende
filmästhetische Perspektiven anlässlich der Adaption von Trivial-Sujets,
die der deutsche Meisterfilm und die Elite des Berliner Feuilletons niemals akzeptiert
hätten.
Fortwährend bestrebt, das Suggestivpotential der Leinwandimpression
zu vervollkommnen, machte Leni sich in verstärktem Maße die Gestaltungsmöglichkeiten
der Kamera als originäres virtuoses Handwerkszeug kreativ gehandhabten Kinos
zunutze.
Innovativer Gebrauch von Kamera und Schnitt im Kino Paul Leni`s:
das bezieht sich weniger auf filmische Analyse und Gliederung der vorliegenden
Sujets, sondern, der These analytisch vorgehender expressiver Binnendramaturgie
der Einstellungen folgend, - symbolträchtige Kameraperspektiven und Fahrten,
welche die dem Dekor implizierten Stimmungen verstärkt reproduzieren.
Um eine Vorstellung der überwältigenden Wirkung traumatischer Bilder ästhetischer Vollkommenheit der Hollywoodfilme Lenis auf Publikum und Fachkollegen jener Zeit zu geben, sei der Vergleich zweier wesensverwandter Sensationsfilme versucht, die das Universal-Studio Mitte -Ende der 20ziger Jahre produzierte und hinsichtlich handwerklicher Perfektion und ästhetischer Wirkung nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können.
Im Jahre 1923 wagte
sich Laemmle´s Universal-Studio an eine Sensations-Verfilmung von Victor
Hugo´s bekannten Zeit- und Sittengemälde ausgehenden Mittelalters in
Romanform "Notre Dame de Paris" unter dem Titel " The hunchback
of Notre Dame", welche das Unternehmen im Rang eines führenden Hollywood-Studios
nachhaltig verfestigen sollte.
Laemmle bestand deshalb auf einem, der episch
angelegten Monumental-Vorlage des Buches entsprechenden, produktionstechnischen
Kraftakt.
Die erforderlichen Dekorationen von Strassen und Plätzen des
mittelalterlichen Paris, der von drei gewaltigen Portalen beherrschten Westfassade
der Kathedrale, des von gotischen Bauten gesäumte Domhofs wurden nicht, wie
oftmals vorgenommen, im Atelier durch Teilbauten und bemalte Prospekte simuliert,
sondern auf Freigelände des Studios real errichtet. Massenkomparserie und
simultan erforderliches Aufkommen mittelalterlicher Kostümierung liessen
das Produktionsbudget auf die für damalige Verhältnisse exorbitant hohe
Summe von 1 250 000 Dollar anwachsen.
Die Berechnung eines forcierten
Universal-Blockbuster des Geschäftjahres 1924 ging auf, der Film zog als
sensationell aufbereitetes, melodramatisches, geringfügig von Horrorelementen
durchsetztes Historienspektakel Zuschauermassen in die Kinos.
Die künstlerische
Bilanz des Films fiel hingegen nahezu katastrophal aus. Von der Bereitstellung
einer authentisch rekonstruierten Notre-Dame Fassade abgesehen, präsentieren
sich die Nachbauten mittelalterlicher Strassenzüge als stilistisch heterogen
ausfallende, unverbindlich historisierende Phantasiedekorationen, blieb das Kostümdesign
der Wiederbelebung von absurder Klischees der Mittelalterverklärung des 19.
Jahrhunderts verhaftet.
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